Die Mission des Wanderchirurgen
seinen Gastgeber abzufallen, trug er an diesem Tage ein leichtes Sommerwams, ein Kleidungsstück, das er zusammen mit einer englischen Seemannshose aus den Tiefen seiner Kiepe hervorgezogen hatte. Er hatte sogar ein kleines Geschenk für Sangio mitgebracht: eine Wüstenrose – jene blättrig-rosettenartige Sandverbackung, die in tausenderlei Vielfalt vorkommt und den Wanderer immer wieder in Erstaunen versetzt.
Auch auf den Pestarzt verfehlte sie ihre Wirkung nicht. »Wie wunderhübsch!«, rief er aus. »Was ist das? Es würde sich als Motiv für die Tondi im Innenhof vortrefflich eignen!«
Vitus erklärte, welche Bewandtnis es mit der Wüstenrose hatte.
»Wirklich wunderhübsch! Ich werde dem Gebilde einen Ehrenplatz auf dem Kamin geben.« Sangio setzte seinen Einfall sogleich in die Tat um und kehrte dann an den Tisch zurück. »Wie Ihr seht, Cirurgicus, habe ich nicht nur Wein bereitstellen lassen, sondern auch ein paar Oliven und ein wenig Schinken aus Parma. Ein Freund schickt ihn mir regelmäßig, ihr solltet ihn unbedingt probieren. Denn eines steht fest: Ohne ein paar Häppchen zu Euch genommen zu haben, lasse ich Euch heute gewiss nicht laufen!«
Vitus lachte und nahm von dem Schinken. Er schmeckte herrlich würzig und trocken und forderte geradezu auf, mit Wein nachgespült zu werden. Nachdem er sich gestärkt hatte, sagte sein Gastgeber:
»Wenn ich mich recht erinnere, bot ich gestern Abend an, Euch meine Schutzkleidung zu erklären. Nun, wenn Ihr noch immer interessiert seid, will ich es gerne tun. Ihr müsstest mir dazu nur in meinen Behandlungsraum folgen. Dort bewahre ich alles auf.«
»Mit Vergnügen, Dottore.«
Der Behandlungsraum lag im Mezzanin, dem niedrigen Zwischengeschoss über dem
Piano nobile,
und barg eine Fülle von medizinischen Exponaten, darunter einige ausgestellte Instrumente zum Schneiden und Stechen. Mit einigem Stolz verwies der Doktor auf sie und sagte: »Dies, mein lieber Cirurgicus, ist Werkzeug, das ich selbst entwickelt habe. Man kann damit besonders leicht und rasch Bubonen behandeln. Nach meiner Erfahrung eignen sich manche Geschwülste besser zum Aufschneiden, andere wiederum zum Aufstechen. Das Ziel jedoch, neben der erforderlichen Schnelligkeit angesichts der großen Anzahl an Kranken, muss immer sein, möglichst allen Eiter aus der Beule zu entfernen. Je mehr kranke Säfte den Körper verlassen, desto besser.«
Danach verwies er auf einige Glasbehältnisse, in denen Pulver von verschiedener Gelbfärbung aufbewahrt wurde. »Getrockneter, gemahlener Eiter«, erklärte er. »Manche meiner Kollegen schwören auf die Einnahme bei der Pesterkrankung, ich dagegen betrachte diese ›Arznei‹ mehr als Kuriosum.« Er ging weiter und deutete auf Gefäße mit Rosenblättern und eingekochtem Fruchtmark. »Die Ergebnisse der Rezepturen des Dottore Nostradamus. Sie sind schön anzusehen, taugen aber nichts. Wir sprachen gestern darüber. Doch seht Euch diese dunklen Knollen an. Es handelt sich um Rote Bete. Sie stellen einen der vielen Versuche dar, mit Hilfe von Paracelsus’ Signaturenlehre die Geißel zu besiegen. Ihr wisst sicher, dass Theophrastus Bombastus von Hohenheim – so hieß er in Wirklichkeit – glaubte, dass die Natur durch bestimmte Zeichen in einer Beziehung zur therapeutischen Anwendung stehe.«
»Sicher« – Vitus nickte –, »ich habe viel darüber gelesen. Pflanzen mit herzförmigen Blättern, beispielsweise, sollten gegen Herzkrankheiten wirken. Der Saft des Blutwurzes sollte Krankheiten des Blutes lindern, und die Walnuss, die im Aussehen an ein menschliches Gehirn erinnert, sollte gegen Kopfschmerzen helfen.«
»Ihr sagt es. Und Rote Beten, die in Form und Farbe an Bubonen erinnern, sollten gegen die Pest helfen. Ein Irrglaube, wie sich nach meiner Erfahrung herausgestellt hat. Dieses färbekräftige Gemüse ist in gekochtem Zustand eine gesunde Kost, mehr nicht. Ein weiteres Kuriosum in meiner Sammlung also.«
»Und was ist das?« Vitus deutete auf mehrere winzige Menschlein, die in Konservierungsflüssigkeit schwammen.
»Oh, das ist wesentlich ernster zu nehmen. Es sind Föten, auch Keimlinge genannt. Sie stammen samt und sonders aus den Körpern pesttoter Frauen. Ich habe sie herauspräpariert, um zu erforschen, ob auch sie schon von Bubonen befallen sind oder andere Merkmale der Geißel aufweisen. Wie Ihr seht, ist das nicht der Fall. Daraus schließe ich: Die Pestis kann zwar die Mutter niederringen, nicht aber die Frucht ihres Leibes.
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