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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Gerätschaften erst nach längerem Hinschauen erkennbar wurden. An den Wänden, über einer Hobelbank, hingen zahllose Werkzeuge für die Holzbearbeitung. Der Gestank des Qualms verquickte sich mit dem nach Tischlerleim. »
Buon giorno,
Ihr seid sicher Meister Tassini?«, rief Vitus.
    Der Alte schreckte auf. Er war so in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er die Gestalten vor dem Fenster nicht bemerkt hatte.
»Buon giorno«,
entgegnete er. »Ja, der bin ich. Und wer seid ihr?«
    Vitus schob Massimo ein Stück vor. »Das hier ist Euer Großneffe Massimo.«
    »Massimo? Der Sohn von Elena?« Ungläubig kniff der Alte die Augen zusammen. Er kam zum Fenster, und Vitus hatte Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Sein Gesicht war mit kleinen Altersflecken übersät, die Haut wirkte sehr blass. Offenbar verließ der alte Romano nur selten die Werkstatt. Seine Hände jedoch, die das Fenstersims umfassten, waren groß und muskulös.
    Massimo stammelte: »Ja … ich bin’s wirklich … Onkel!«
    »Hm, der Ähnlichkeit nach mag das wohl stimmen. Du hast genauso eine römische Nase wie die gute Elena. Wie geht es meiner Brudertochter?«
    »Sie ist tot, Onkel, gestorben am Fieber. Gott hab sie selig!« Massimo schlug gleich mehrere Male das Kreuz. »Es war ein schwerer Schlag für mich, aber mit Gottes Hilfe bin ich darüber hinweggekommen. Darf ich dir meine Freunde vorstellen?«
    Nachdem die Formalitäten erledigt waren, schlug sich der Alte plötzlich an den Kopf. »Was bin ich nur für ein schlechter Gastgeber! Nun kommt erst einmal in die Werkstatt!«
    Die Gefährten traten ein und erkannten neben den vielen Holzbearbeitungsinstrumenten auch mehrere Regale mit Leim, Wagenschmiere und eisernen Teilen, deren Sinn sich ihnen nicht offenbarte. An der gegenüberliegenden Wand steckten Stangenbohrer der verschiedensten Größen in ihren Halterungen. Neben der Hobelbank standen weitere Regale, darauf Behältnisse, die von Schrauben, Muttern und Unterlegscheiben überquollen. Ein Stück weiter befand sich ein Gerät mit eisernen Spannbacken, die über einen Treibriemen in Drehung versetzt werden konnten. Der Art und Bauweise nach handelte es sich um eine Drechselbank. In der Mitte des Raums loderte ein kräftiges Feuer, und darüber hing ein brodelnder Kessel. Dampfschwaden zogen nach oben und entwichen durch den Rauchabzug im Dach. Das Auffälligste in der Werkstatt jedoch waren die Räder. Überall lagen und standen Holzräder herum.
    »Kommt, setzt euch doch!«, sagte Romano und deutete auf eine lange Bank vor dem Feuer. »Ich würde euch gern etwas zu essen anbieten, aber die Nachbarin, die mir sonst gelegentlich etwas vorbeibringt, kränkelt zur Zeit, und in meinem Alter ist Essen auch nicht mehr so wichtig.«
    »Macht Euch um uns keine Gedanken, Meister Tassini«, entgegnete Vitus. »Gibt es denn keine Meisterin, die Euch versorgen könnte?«
    Romanos Gesicht nahm einen kummervollen Ausdruck an. »Nein, schon seit acht Jahren nicht mehr. Sie war der gütigste Mensch auf Gottes weiter Welt. Aber dem Herrn hat es gefallen, sie zu sich zu nehmen. Dabei war sie erst dreiundfünfzig Jahre alt und hätte es noch gut eine Zeit lang machen können. Aber klagen nützt nichts. Das Leben geht weiter. Du, Massimo, und ich haben wohl das Liebste, das wir hatten, verloren. Das verbindet uns. Doch nun erzähle erst einmal von deiner Familie und den Geschwistern.«
    Der Jüngling gehorchte und berichtete. Zunächst stockend und schüchtern, doch mit der Zeit immer flüssiger. Besonders die Zeit bei den Geißlern und seine damit verbundenen Nöte schilderte er eindringlich. Schließlich endete er mit den Worten: »Nachdem ich geflohen war, schloss ich mich dem Cirurgicus und seinen Freunden an. Sie rieten mir, zu dir zu gehen, Onkel, und da bin ich.«
    »Und das ist gut so.« Romanos kräftige Hand strich über die des Jünglings. »Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben. Ich bin ein einsamer alter Mann, dem ein wenig Gesellschaft gut täte. Auch könnte ich dich in der Kunst des Radbaus unterweisen. Es ist ein Handwerk, das seinen Mann nährt.«
    »Gern, Onkel, aber … ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich habe noch nie mit meinen Händen gearbeitet.«
    »Ach, das lernt sich!« Romano war offenbar begeistert von seiner Idee. Er stand auf und rollte ein mittelgroßes Rad vor Massimo hin. »Jedes Rad ist ein Kunstwerk aus neunzehn verschiedenen Holzteilen«, erklärte er. »Alle müssen perfekt gearbeitet sein, denn wenn auch nur eines

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