Die Mission des Wanderchirurgen
dem
Petrarca-Dokument noch eine geheime Botschaft befinden,
Ihr wart es, der diese sichtbar gemacht hat,
und Ihr wart es auch, der durch seine Schlüsse
die Lösung des Problems immer wieder vorantrieb.
Eine hervorragende Leistung!«
P rofessor Mercurio Girolamo, der hinter seinem Rücken nur »Häklein« genannt wurde, stand im Hörsaal der Universität zu Padua vor einer geöffneten Leiche. Er war ein schmächtiger Mann von durchaus eigenwilligem Äußeren, wozu drei besondere Körpermerkmale beitrugen: eine spitze Nase, ein spitzer Adamsapfel und ein spitzes Bäuchlein.
Den Beinamen Häklein, den er darüber hinaus erhalten hatte, verdankte er, nach Meinung einiger, seiner häufig seltsam abgewinkelten Kopfhaltung, nach Ansicht anderer seiner Vorliebe, beim Sezieren gern und oftmals »Häklein« zu sagen und von diesen auch regen Gebrauch zu machen. Ansonsten verfügte er über die gütigsten Augen, die ein Mensch nur haben kann.
Häklein hob den Blick und rief mit seiner hellen Stimme: »Meine lieben Studiosi! Ich bitte um äußerste Aufmerksamkeit. Sperrt eure Augen auf, damit ihr lernt, wie man einer zusammengefallenen Lunge wieder zu Volumen verhilft. Es ist ganz einfach, man muss es nur wissen!«
Die Studenten reckten die Hälse. Sie saßen dicht gedrängt in rundum angeordneten Sitzreihen. Gespannt beobachteten sie, wie Häklein einen winzigen Schnitt in die Lunge tat, einen Strohhalm hineinsteckte und die Flügel aufblies. Alsdann hielt er die Öffnung des Halms mit dem Daumen zu, damit die Luft nicht wieder entweichen konnte, und begann seine Erklärungen: »Die Lunge, liebe Studiosi, doch halt …« Er unterbrach sich. »Wie heißt die Lunge im Lateinischen?«
»Pulmo«, erklang es von den Sitzreihen her.
»Gut, die Lunge also bezeichnen wir als ein paariges Atmungsorgan. Sie nimmt den Brustraum beiderseits des Herzens ein und wird in ihrer Form durch das Zwerchfell …« Abermals hielt er inne. »Wie heißt Zwerchfell in der Sprache der Wissenschaft?«
»Diaphragma.«
»Recte.«
Häklein schien zufrieden. »Die Lunge wird in ihrer Form durch das Zwerchfell und den Brustkorb bestimmt …«
»Thorax!«, erklang es von den Rängen.
»Wie? Ach ja,
recte,
meine Herren,
recte.
Ich fahre fort: Der rechte Lungenflügel unterteilt sich in drei Lappen, der linke indes nur in zwei. Weiß jemand, warum Mutter Natur das so eingerichtet hat?«
Die Antwort blieb aus, denn in der hintersten Sitzreihe, dort, wo noch einige Plätze frei waren, gab es Unruhe. Doch sie war nicht von langer Dauer, und eine Stimme rief: »Er muss ja kleiner sein, der Lappen, sonst hätte das Herz nicht genug Raum.« Der Rufer war ein stämmiger junger Mann mit vergnügt blickenden Augen.
»Gut, mein lieber Carlo, gut.« Häklein wandte sich wieder der Leiche zu, das Strohhalmende noch immer zuhaltend. »Wie ihr an der Farbveränderung seht, meine lieben Studiosi, ist bei dieser Lunge ein Großteil des Gewebes entzündet, Diagnose also: Pneumonie. Womit wir als gute Anatome auch gleich die Todesursache festgestellt haben.«
Die Studenten lachten. Häklein, daran bestand kein Zweifel, war sehr beliebt.
»Nun, Herrschaften, eine kleine Zwischenfrage: Weiß jemand von euch, wann erstmalig ein Korpus zwecks kriminologischer Untersuchung geöffnet wurde?« Häklein legte den Kopf schief und wartete ein paar Augenblicke. Als keine Antwort kam, rief er:
»Es war im Jahre 1302. Ein Mann namens Azzolino war aus unbekannter Ursache zu Tode gekommen. Sein Körper hatte sich grün und schwarz verfärbt. Zwar vermutete man, dass er vergiftet worden war, aber niemand konnte den Beweis dafür erbringen. Nur ein Anatom namens Bartholomeus de Varignana war dazu in der Lage. Was tat er?«
»Er öffnete den Leichnam!« Wieder war es Carlo, der gerufen hatte.
»
Recte!
Aber diese Antwort war nicht schwierig. Was sollte ein Anatom auch sonst tun!«
Abermals lachten die Studenten.
Häklein fuhr fort: »Ich will euch die Geschichte, die ihr übrigens in unserem Archiv nachlesen könnt, zu Ende erzählen: Der Anatom öffnete den Magen und präparierte einen Teil des Inhalts heraus. Es handelte sich unter anderem um Schweinefleisch und Rosinen. Beides roch normal, wenn man von den Magensäften einmal absieht. Der Anatom jedoch gab sich damit nicht zufrieden, sondern nähte einen Teil der Masse in ein Stück frisches Fleisch ein und gab es einem streunenden Hund. Kaum hatte der Köter den Bissen hinuntergeschlungen, zeigte er alle Anzeichen einer
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