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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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denkwürdigen Tag.«
    »Und dann? Was geschah dann?«
    »Plötzlich rief jemand lauthals: ›Cirurgicus, seid Ihr’s? Bei den Algen der Sargassosee, ich glaub, Ihr seid’s wirklich!‹ Der Rufer hieß Pint. Pint wie ein Pint Ale. Er ist ein englischer Matrose oder besser: Er war es. Warum, werdet Ihr gleich erfahren. Er ist ein untersetzter Bursche, fast so breit wie lang, mit den Oberarmen eines Preisringers. Er diente jahrelang unter Kapitän Sir Hippolyte Taggart, dem berühmten Korsaren, der anno dreiundsiebzig von der wohl erfolgreichsten Kaperfahrt aller Zeiten heimkehrte. Auf Taggarts Schiff, der
Falcon,
fuhren auch meine Freunde und ich eine Weile. Aus dieser Zeit kenne ich Pint.«
    Pater Ernesto, der nur wenig größer als der Magister war, blickte auf. »Ihr müsst ihn sehr gut gekannt haben, anders ist seine große Wiedersehensfreude kaum zu erklären.«
    »Nein, das ist nicht der Fall. Eher war es ein gemeinsames Erlebnis, das ihn zu diesem Freudenausbruch trieb. Ihr müsst wissen, dass Pint es war, der mir eines Tages an Bord half, einen verunglückten Matrosen festzuhalten, der wie ein Rohr im Winde schwankte. Duncan Rider, so der Name des Unglücklichen, war über ein aufgeschossenes Tau gestolpert und hatte sich eine Impressionsfraktur der Kalotte zugezogen. Oder, um es weniger wissenschaftlich auszudrücken: Sein Schädeldach war angebrochen und eingedellt. Ich trepanierte den Mann mit Hilfe des alten Bordarztes Doktor Hall.«
    »Un mit meiner Hilfe!«, ertönte es plötzlich von vorn. Der Zwerg, der mit dem Säugling wie immer voranging, hatte sich eingemischt. »Hab als Blutstiller trafackt. Gneißt du’s noch?
    Blutiges Blut
,
    glutige Glut,
    fließ zurück
    über die Brück,
    sollst stehen, sollst stehen,
    sollst ruhen still
    nach meinem Will!«
    »Ja, natürlich erinnere ich mich«, sagte Vitus. »Es war eine komplizierte Operation. Ich habe dem Verletzten eine Goldmünze in die Schädelplatte eingesetzt, passgenau wie eine Intarsie, und hoffe, dass er noch heute damit herumläuft. Um auf Pint zurückzukommen: Auch er hat das Seinige dazu beigetragen, Duncan Rider, einem Ehemann und Familienvater, das Leben zu retten. Das verbindet uns.«
    »Und weiter?«, drängte Pater Ernesto. »Die Geschichte ist doch sicher noch nicht zu Ende?«
    »Nein, das ist sie nicht. Denn Pint ist heute kein Matrose mehr, sondern Teilhaber einer Frachtkompagnie in Genua. Er kaufte sich mit seinem Prisengeld in die Firma ein.«
    Pater Ernestos Augen blitzten. »Die Wege des Herrn sind unerfindlich! Ich freue mich für Pint. Er ist sicher ein braver, gottesfürchtiger Mann. Doch was hat ihn als Engländer ausgerechnet nach Genua verschlagen?«
    »Die Liebe, Pater, die Liebe. Irgendwann hatte er das Glück, nicht eine der üblichen Hafendirnen kennen zu lernen, sondern ein schönes Mädchen aus gutem Hause. Und dieses Mädchen, Ornella ist ihr Name, stammt aus Genua. Also folgte er ihr in ihre Vaterstadt, heiratete sie und sorgte dafür, dass beide ihr Auskommen haben.«
    »Welch eine schöne Geschichte! Und dieser Pint nun war es, der …?«
    »Genau. Dieser Pint machte es möglich, dass wir zwei Tage später aufbrechen konnten. Als Teilhaber brauchte er nur die entsprechenden Befehle zu erteilen.«
    »Wahrhaftig, ein kleines Wunder!« Pater Ernesto hielt mitten im Schritt inne und zwang damit seine Weggefährten, ebenfalls stehen zu bleiben. »Erlaubt mir, meine Söhne, für den ehemaligen Matrosen Pint, der heute ein geachteter Handelsherr ist, einen freudenreichen Rosenkranz zu beten. Möge der Erhabene ihn auf allen seinen Wegen behüten und beschützen.«
    Es blieb den Freunden nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis der Pater seinen Wunsch wahr gemacht hatte, wobei sie eine gehörige Portion Geduld an den Tag legen mussten, denn ein Rosenkranz besteht aus fünf Gebetsabschnitten, von denen jeder ein Credo, ein Vaterunser, zehn Ave-Maria und ein Ehre-sei-dem-Vater beinhaltet. Dazu einen weiteren Satz, der ein Ereignis aus dem Leben Jesu und Maria schildert.
    Als Ernesto endlich mit einem inbrünstigen Amen geendet hatte, sagte Vitus: »Ihr macht Eurer Berufung alle Ehre, Pater, wenn Ihr den Segen des Allmächtigen auf Pint herabfleht, aber ich möchte Euch bitten, es demnächst bei einer Rast zu tun. Wir verlieren sonst zu viel Zeit. Ihr wisst doch, wie eilig ich es habe.«
    »Gewiss, mein Sohn, gewiss. Verzeiht einem alten Diener des Herrn.«
     
    Sei es, dass der Rosenkranz des Paters insgesamt doch zu

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