Die Mission des Wanderchirurgen
lange gedauert hatte, sei es, dass der Weg länger als erwartet war, in jedem Fall erreichte die Gruppe den Ort Alesón nicht mehr vor Einbrechen der Dunkelheit, so dass sie gezwungen waren, ein weiteres Mal unter freiem Himmel zu nächtigen.
Als das Zelt aufgebaut und das Feuer für die Mahlzeit entfacht war, ließ Pater Ernesto sich auf einem großen Stein nieder, zog die gelben Pantoffeln aus und massierte seine Zehen. »Um ehrlich zu sein, Cirurgicus, ich hätte nicht gedacht, dass die Stelle, an der mein Hühnerauge saß, das Marschieren so gut mitmachen würde. Ich habe sie die ganze Zeit kaum gespürt. Ihr verfügt über gesegnete Hände.«
Vitus, der zusammen mit dem Magister die Suppe zubereitete, antwortete ebenso zuvorkommend: »Und diese Hände wollen sich nun vom Fortgang des Heilungsprozesses überzeugen, Pater. Lasst mal sehen.« Er beugte sich über die fünfte Zehe, die der Ursprung aller Pein gewesen war, und begutachtete sein Werk. »Ja, es sieht nicht schlecht aus. Die Wunde wird von innen zuwachsen. Ich werde nochmals Doktor Chamouchas Salbe auftragen und eine Kompresse anlegen.«
»Cirurgicus, ich will nachher einen dankesfrohen Rosenkranz beten und Euch darin einschließen. Nur der Allmächtige weiß, wie sehr Ihr mir geholfen habt.«
Vitus wehrte ab. »Aber, aber! Ich habe nur getan, was selbstverständlich ist.«
Nach dem Essen betete der Pater den angekündigten Rosenkranz, wobei er die Freunde aufforderte, mitzutun und einträchtig die ewig währenden Sätze zu sprechen. Es dauerte wohl über eine Stunde, bis die fromme Handlung ihrem Ende entgegenging, und die erste Äußerung danach kam von der kleinen Nella. Sie plärrte, weil sie hungrig war. Der Zwerg hatte an den Gebeten teilgenommen und ihr nicht zur üblichen Zeit die Milch geben können.
Nun beeilte er sich, das Versäumte nachzuholen. Er schob der Kleinen das Klistierende ins Mündchen, drückte sanft auf die Schafsblase und fistelte pausenlos dabei: »Nu is ja gut, is ja gut, mein Schäfchen, der Altlatz is ja da, nich? Nu suckel man schön, dann schiebste auch keinen Kohldampf nich, nich? Suckel, suckel, wui un hui, das schmerft, wie? Killekillekille!«
Er wiegte sie hin und her, bis sie ein Bäuerchen machte. »Böpp, böpp, war das ’n quantiger Aufstoß? Wui! Killekillekille. Böpp un gulp! Un gleich noch mal …« Wieder senkte er das Klistierende in den zahnlosen Mund, immerfort beruhigende Laute ausstoßend.
Schließlich, als die Kleine satt war, fistelte er: »Nu is kein Grimmen nich mehr im Speisfang, nich? Der Altlatz hat KleinNella moll gekriegt. Nella, killekillekille! Wui un sí, du heißt Nella, Nella heißte, nich?«
Plötzlich unterbrach er seinen Redeschwall und wurde nachdenklich. »Nee, eigentlich heißte nich Nella, bist ja nich getäuft, nich? Musst ’ne ächtige Schmatterei haben, mit Schmatterwasser un so, geweiht von ’nem Kuttengeier un … Moment mal.« Er unterbrach sich und wurde plötzlich ganz förmlich: »Pater Ernesto, Himmelsmann, kannste mein Schäfchen nich täufen? ’s wär wichtig, glaub ich.«
Ernesto, der mit einiger Rührung die Bemühungen des Zwergs verfolgt hatte, war überrascht. »Nun ja, mein lieber Enano, natürlich ist die Taufe wichtig. Äußerst wichtig sogar. Sie ist das Sakrament, das den Täufling in die unauflösbare Gemeinschaft mit Gott hineinführt. Aber ich fürchte, ich kann deinen Wunsch nicht erfüllen, denn dazu bedarf es nicht nur geweihten Wassers, sondern auch eines Taufbeckens. Ich schlage deshalb vor, das Kind morgen in der Kirche von Alesón zu taufen. Ich bin sicher, mein dortiger Glaubensbruder wird deinem Wunsch gern entsprechen.«
Wer nun gedacht hatte, der Zwerg wäre mit diesem Vorgehen von Herzen einverstanden, sah sich getäuscht. »Mit Verlaub, Himmelsmann«, fistelte er, »will nich, dass mein Schäfchen von ’nem Fremden betatscht wird, will, dasses ’ne Sache unter Gefährten is.«
»Ja, aber, ohne Taufbecken …«
Vitus schaltete sich ein: »Verzeiht, Vater, aber gibt es irgendwo in der Schrift einen Passus, in dem die Form eines solchen Beckens vorgeschrieben ist?«
»Wie? Was meint Ihr? Eine Vorschrift?« Ernesto durchforstete sein zweifellos stattliches Bibelwissen, wiegte mehrmals sein Haupt und kam zu dem Schluss: »Nein, soviel ich weiß, nicht. Wenn ich mich recht besinne, benötigte auch Johannes der Täufer, der Sohn des Zacharias, kein spezielles Wasserbehältnis. Er taufte die Gläubigen einfach im Fluss. Aber,
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