Die Mission des Wanderchirurgen
der einen Gaul zuschanden reitet, Sir« , sagte er dann und fügte, wie um sich selbst zu beruhigen, jedes Mal hinzu: »Ich denke, wir liegen trotzdem noch recht gut in der Zeit.«
Vitus widersprach nicht. Ihm war längst klar geworden, dass die Eile, mit der Edgehill im Studierzimmer des Abtes zum Aufbruch gedrängt hatte, keineswegs Wichtigtuerei gewesen war, sondern lediglich Ausdruck eines übertriebenen Pflichtbewusstseins. Der Mann konnte nichts dafür. Er war ein glühender Verehrer seiner Königin, der »Jungfräulichen Gloriana«, wie er Elisabeth I. zu nennen pflegte. Diese hatte die Gnade gehabt, ihm einen Befehl zu erteilen, und er würde sich lieber in Stücke hacken lassen, als seinen Auftrag nicht untadelig auszuführen.
Doch machte sein Gebaren die Reise nicht unterhaltsamer. Vitus hätte gern von vergangenen Zeiten gesprochen, denn auf ihrem Ritt nach Santander folgten sie den uralten Wegen, auf denen er einst auch mit dem Magister und den Gauklern gezogen war. Allein, es kam niemals ein rechtes Gespräch zustande. Wenn Edgehill überhaupt etwas sagte, kannte er nur ein Thema, und das war seine Königin. Vitus, der Elisabeth ebenfalls verehrte, wenn auch auf ganz andere Weise, gab es schließlich auf.
Schweigend ritten sie an Belorado vorbei, an Rondeña, Briviesca und den vielen anderen kleinen Ortschaften, folgten dem Rudrón und dann dem Lauf des Ebro. Bei Villarcayo ereilte sie ein Missgeschick: Der unwahrscheinliche Fall, dass drei von vier Pferden gleichzeitig lahmen, war eingetreten. Sie mussten pausieren, ob sie wollten oder nicht. Vitus genoss zwei Tage der Ruhe und fand endlich Gelegenheit, wieder einmal ausgiebig mit anderen Menschen zu reden. Wie gut das tat! Einfach nur in der Herberge zu sitzen, ohne Hast zu essen, einen Becher Wein zu trinken und über Gott und die Welt zu plaudern. Schmerzlich wurde ihm bewusst, wie sehr ihm die Gefährten fehlten. Und erst recht Nina …
Am dritten Tag waren die Reittiere wieder gesundet. Nachdem der Schmied des Dorfes noch das eine oder andere Hufeisen ausgewechselt hatte, konnten sie die Reise fortsetzen. Edgehill, der die ganze Zeit wie auf glühenden Kohlen gesessen hatte, schlug ein gehöriges Tempo an, so dass sie am Abend ein gutes Stück Weges nach Torrelavega, ihrem nächsten Ziel, hinter sich gebracht hatten.
Auch an den folgenden Tagen kamen sie zügig voran. Das Wetter war herrlich, der Himmel über ihnen strahlte in wolkenlosem Blau, und die Pferde liefen prächtig. Sogar Edgehill taute etwas auf. Je mehr sie sich Santander näherten, desto gesprächiger wurde er.
»Wisst Ihr, Sir«, sagte er eines Abends bei einem rubinroten Rioja, »das ist der erste Tropfen auf unserer Reise, der mir richtig mundet.«
Vitus ahnte bereits, warum, war aber höflich genug, um nachzufragen: »Nanu, wieso das?«
Der Kurier trank einen weiteren Schluck. »Wenn wir die kantabrische Hauptstadt erst einmal erreicht haben, Sir, werden mir Mühlsteine von der Seele fallen. Ja, Mühlsteine! Dann liegt es nämlich nicht mehr in meiner Hand, ob wir schnell vorankommen oder nicht. Dann hängt es einzig und allein vom Glück ab, ob wir schnell ein Schiff in die Heimat erwischen.«
Vitus verstand. »Und falls es nicht so sein sollte, kann Euch Eure Königin, die auch die meine ist, keinen Vorwurf daraus machen.«
»Ganz recht. Dennoch hoffe ich natürlich, dass Fortuna mit uns im Bunde ist.« Edgehill unterdrückte ein Rülpsen. »Unsere Jungfräuliche Gloriana ist für eine gewisse … äh, Ungeduld bekannt.«
Vitus schwieg. Er spürte, dass der plötzlich so gesprächige Kurier noch nicht fertig war.
»Und dann ist da noch … äh, auch ihm wird jeder Tag recht sein, den wir früher in London eintreffen.«
»Ihm? Von wem sprecht Ihr?«
»Nun.« Edgehill rang mit sich, ob er den Namen preisgeben solle, sagte sich dann aber, dass es müßig war, ihn nicht zu nennen. Die Person, die er meinte, war allgegenwärtig – in England wie auch in Europa. Sie würde sich früher oder später ohnehin in das Leben des Vitus von Campodios einmischen. »Nun, ich spreche von Sir Francis Walsingham.«
[home]
Der Spion Sir Francis Walsingham
»Stellen wir uns vor: Eine andere Mutter geht mit ihrem Kind zum Kloster, um es vor dem Tor abzulegen.
Warum tut sie das? Weil sie sich aus irgendeinem Grund
von ihm trennen muss. Eine solche Mutter würde doch
nie den eigenen Säugling dort lassen und dafür einen
fremden mitnehmen, schließlich hätte sie damit nur
ihr
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