Die Mission des Wanderchirurgen
Ein Krieg mit Spanien sei unausweichlich. Denkt Ihr auch so, Francis?«
Walsingham wog seine Worte genau ab, bevor er antwortete: »Da Euer Majestät den Herzog von Alençon nicht ehelichen will und eine Verbindung mit Frankreich somit ausscheidet, hat England nach wie vor keine Verbündeten. Dies umso mehr, als Ihr auch Philipps Werben ablehnend gegenübersteht. Was ich, wie ich hinzufügen möchte, außerordentlich begrüße.«
Elisabeth lachte und vergaß für einen Moment ihre Zahnlücken. »Ihr seid eben durch und durch Protestant! Philipp von Spanien will mich nur aus politischen Gründen heiraten. Als ob sein Reich nicht so schon groß genug wäre! Und natürlich hat er keine Ruhe, bis England wieder katholisch ist. Davon abgesehen kann ich ihn wenig leiden. Seine Augen sind voller Kälte und Gefühllosigkeit. Er ist düster, versonnen, bedächtig und darüber hinaus rachsüchtig. Seine schlimmste Eigenschaft aber ist die eifernde, schwärmerische Frömmigkeit, mit der er die ganze Welt überziehen will. Nein, Philipp wäre der Letzte, den ich mir als Ehemann wünschte. Außerdem mag mein Volk ihn genauso wenig wie ich.«
»Um auf Eure Frage zurückzukommen, Majestät: Ich denke schon, dass wir uns rüsten sollten. Philipp hat Krakenarme, wie man an Portugal sieht. Ich sage Euch, eines Tages wird er mit unzähligen Schiffen übers Meer kommen und unser Land besetzen wollen.«
»Der Himmel gebe, dass dies nie geschieht.« Elisabeth schob die Dokumente beiseite. »Ihr sagtet, Ihr hättet noch ein Buch mitgebracht? Ein Buch mit brisantem Inhalt?«
»So ist es, Majestät.« Walsingham griff in seine Dokumententasche und legte das Werk vor Elisabeth hin.
»De Causis Pestis«
, las die Königin laut. »Was hat das zu bedeuten?«
»Es ist ein Buch über die Ursachen der Pest.«
»Ich kann Latein.«
»Verzeiht, Majestät, der Verfasser ist Vitus von Campodios, jener junge Mann, der sich als der Großneffe des verstorbenen Lord Collincourt bezeichnet.«
»Ich erinnere mich. Da war doch irgendetwas mit einem vertauschten Findelkind?«
»Ganz recht. Ich erzählte Euch schon davon. Der Hintergrund ist der, dass Lady Jean, die zweifelsohne eine echte Collincourt war, anno 1555 von einem Mann schwanger wurde, dessen Namen sie um nichts in der Welt preisgeben wollte. Es gab einen furchtbaren Krach in der Familie, bis es dem alten Lord gelang, Jean davon zu überzeugen, dass es das Beste sei, nach Neu-Spanien zu segeln, um sich dort einen achtbaren Ehemann zu suchen. So wollte er die Schande in Grenzen halten. Jean machte sich auf die Reise und bekam das Kind an Bord des Schiffes. Doch im spanischen Vigo musste sie an Land gehen, denn der Segler konnte nicht weiter, da er in einen Sturm geraten war. Das geschah im Frühjahr 1556, und lange Zeit wusste man nicht, was aus Jean und dem Kind geworden war. Erst anno 1576, zwanzig Jahre später, kam Licht in das Dunkel: Da erschien auf Greenvale Castle ein junger Mann namens Vitus und präsentierte dem alten Lord ein Damasttuch mit dem Wappen der Collincourts. Er sagte, das sei das Tuch, in dem man ihn als Säugling vor dem Tor des Klosters Campodios gefunden habe.«
»Jetzt fällt es mir wieder ein! Da gibt es doch diesen Advocatus, der nichts unversucht lässt, um zu mir vorgelassen zu werden. Er behauptet, der junge Vitus sei nicht der wahre Erbe des Collincourt’schen Besitzes, da er mit Sicherheit vertauscht wurde.«
»Richtig, Majestät. Der Name ist Hornstaple. Ein kleiner Winkeladvokat und Erbschleicher. Zwar will er auf irgendeine Weise den Vater von Jeans Kind aufgespürt haben, aber mehr kann er nicht vorweisen. Die Erbansprüche, die er für den angeblichen Vater anmeldet, sind juristisch völlig unhaltbar. Trotzdem hat er in der Vergangenheit immer wieder versucht, Euch seine Forderungen vorzutragen. Ich kann nur sagen, der Mann hat mich ganz schön Nerven gekostet.«
»Mein armer Francis.« Elisabeth legte ihrem Staatssekretär die Hand auf den Arm. Sie wirkte in diesem Augenblick wie eine Mutter, obwohl sie drei Jahre jünger war.
Walsingham genoss die Situation. Gunstbezeigungen der Königin waren äußerst rar, und wenn sie welche verteilte, dann höchstens an den Earl of Leicester, ihren Oberstallmeister. »Nun ja, Majestät, Hornstaple hat mich gestern schon wieder heimgesucht. Er ist wie eine Klette. Doch als er endgültig begriff, dass sein Mandant nichts zu erwarten hat – und er dadurch natürlich auch nicht –, wollte er wenigstens
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