Die Mission des Wanderchirurgen
Enge unter der Kampfplattform warteten, stießen einander an und grinsten. Gleich würden sie es den Schweinefressern zeigen.
Noch zwei Minuten. Jetzt war auch der Name der Schatzgaleone am Bug zu lesen:
Nuestra Señora de la Inocencia.
Noch eine Minute.
»Hooo, blaue Galeere! Können wir euch helfen?«, klang plötzlich ein freundlicher Ruf herüber. »Dreht bei, wir schicken ein Boot.«
Mehmet Pascha auf der Rambate lachte aus vollem Hals. »Das wird nicht nötig sein. Wir kommen selbst!« Er riss seine beiden Schnapphahnpistolen hoch und schoss auf die Fremden am Heck. Die Kugeln verfehlten ihr Ziel, doch er achtete nicht darauf. »Los, meine Ratten!«, brüllte er, »Planen runter, und gebt’s ihnen!«
Einen Wimpernschlag später schien am Bug der
Yildirim
ein Feuerball zu explodieren, gefolgt von einem gewaltigen zweifachen Donnerschlag. Der Vierzigpfünder und die beiden Vierundzwanzigpfünder hatten gesprochen. Schwere Pulverschwaden hingen über beiden Schiffen. Als der Rauch sich verzogen hatte, wurde das Ausmaß der Verwüstung bei dem Spanier deutlich. Die schweren Geschütze hatten scheunentorgroße Löcher in seine Steuerbordwand gerissen. Sein Oberdeck war nur noch ein einziger Trümmerhaufen aus geborstenen Stengen, Rahen, Masten, aus zerstörten Blöcken, zersplitterten Belegnägeln und zerschlagenen Grätings. Und über allem lag ein Tohuwabohu aus zerfetztem Tuch und Tauwerk. Nur wenige Männer zeigten sich an der Reling. Ihre Hilfeschreie gingen im Kartätschenhagel der Drehbassen unter.
»Auf, auf, meine Ratten!« Mehmet Pascha warf höchstpersönlich einen Enterhaken zur
Inocencia
hinüber, während seine Männer bereits wie die Affen an der Bordwand des Spaniers hochkletterten. Der Kommandant, gewichtig wie er war, brauchte etwas länger, doch kam er noch rechtzeitig hinauf, um zu sehen, dass seine Piraten alles unter Kontrolle hatten. Die wenigen Matrosen, die sich noch wehrten, würden früher oder später zu den Fischen gehen. Eine seiner Ratten war aufs Achterkastell gestürmt und stieß einem sich verzweifelt wehrenden Don das Messer in den Wanst. Das muss der Kapitän sein!, schoss es dem Pascha durch den Kopf, nur ein Kapitän kämpft so für sein Schiff – und für seine Ladung. Welch gutes Zeichen! Der Kerl wird nicht wie ein Hungerleider unterwegs sein.
Der Kommandant eilte auf den Don zu, der sich stöhnend am Boden wälzte. »Wo sind die Schatztruhen, du Christenhund?«, dröhnte er. »Heraus mit der Sprache!«
Als er keine Antwort bekam, schlug er dem Schwerverletzten ins Gesicht. Einmal, zweimal … und musste dann jählings beiseite springen. Der Don wehrte sich! Urplötzlich hielt er ein Rapier in der Faust und bedrohte ihn. Bei Allah, der Mann war todgeweiht und wollte sich dennoch wehren. Tapfer waren sie, diese Ungläubigen, das musste der Neid ihnen lassen. Tapfer und dumm.
Der Pascha trat dem Sterbenden die Klinge aus der Hand. »Du brauchst es Mehmet Pascha nicht zu sagen, Christenhund, er findet die Truhen auch so.« Rasch tastete er den Oberkörper des Dons ab. Blut, Blut, überall Blut. Doch da: eine goldene Kette mit juwelenbesetztem Kreuz. Der Kommandant riss sie ab. Und da: Was war das? Eine weitere Kette, diesmal mit einem Schlüssel. Er nahm ihn an sich. Das musste der Schlüssel für die Schatzkisten sein! Er richtete sich auf und wollte unter Deck, denn in den achteren Kabinen verwahrte man gewöhnlich die Preziosen, da röchelte der Kapitän:
»Er wird dir … nichts nützen … nichts nützen.« Und in seinen Augen stand ein letzter Triumph.
»Pah!« Mehmet Pascha wandte sich ab und eilte fort. Wie sich zeigte, hatte er richtig vermutet. In einem der Räume befand sich eine schwere eisenbeschlagene Kiste. Sie stand direkt unter den bleiverglasten Heckfenstern und bot einen verführerischen Anblick. Allerdings: Sie hatte nicht weniger als drei Schlösser. Ob sein Schlüssel wohl für alle passte?
Mehmet Pascha probierte es und stellte zu seiner maßlosen Enttäuschung fest, dass sein Schließgerät wertlos war. Es passte nur zu einem Schloss. Wieso? Warum? Was war da los? Allah verfluche diese raffinierten Ungläubigen!
Der Kommandant versuchte es erneut, stieß Verwünschungen aus, als würde ein Kübel Fischreste über ihm entleert, und kam gehörig ins Schwitzen. Was er nicht wissen konnte, war, dass zum Öffnen der Schlösser drei unterschiedliche Schlüssel notwendig waren. Zwei hatte gewöhnlich der Absender der Truhe, einen der
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