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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Schiffskapitän und einen weiteren, den Universalschlüssel, der König von Spanien, dem per Gesetz der
quinto,
also ein Fünftel des Schatzes, zustand.
    Wenn nun der Absender, beispielsweise der Silbermeister in Havanna, die Truhe verschließen wollte, sicherte er zwei Schlösser. Dann nahm der Kapitän die Truhe an Bord. Er konnte sie nicht öffnen, denn sein Schlüssel passte nur zum dritten Schloss, welches er nun ebenfalls sicherte. Zu diesem Zeitpunkt konnte auch der Absender die Truhe nicht mehr aufschließen, denn seine Schlüssel passten ja nur zu den ersten beiden Schlössern.
    War der Kapitän mit der Schatztruhe glücklich in Spanien eingetroffen, übergab er sie dem König, der alle drei Schlösser mit seinem Universalschlüssel öffnen konnte. Ein ausgeklügeltes System, durch das Seine Allerkatholischste Majestät Philipp  II . sicher sein durfte, von seinen Untertanen nicht betrogen zu werden.
    Plötzlich merkte Mehmet Pascha, dass die
Inocentia
sich auf die Seite legte. Das Schiff krängte. Es machte Wasser infolge der starken Beschädigungen. Höchste Zeit, es zu verlassen. Aber nicht ohne die Kiste! Der Kommandant brüllte mit Stentorstimme: »Kommt her, meine Ratten! Beute, Beute, Beute!«
    Wie nicht anders zu erwarten, dauerte es nur wenige Augenblicke, bis die Männer da waren.
    »Nehmt die Truhe und schafft sie hinüber auf meine
Yildirim,
Mehmet Pascha wird sie dort mit Gewalt öffnen.«
    Der Befehl jedoch war leichter gesagt als ausgeführt. Die
Inocencia
hatte mittlerweile noch mehr Schlagseite, und es verlangte nicht weniger als acht starke Kerle die Kiste anzuheben. Unter Keuchen und Stöhnen und mit geschwollenen Stirnadern schleppten sie die Last zur Tür, stolperten fast über das Süll und mussten erst einmal wieder absetzen.
    »Weiter, weiter, meine Ratten.« Mehmet Pascha, der unterdessen an der einzig noch stehenden Rahe zwei Taljen hatte anschlagen lassen, trieb seine Männer unbarmherzig an. Doch alles braucht seine Zeit, und die Truhe war schwer wie die Felsen des Dschebel al-Tarik. Die Ratten mussten sie erst einmal auf das Steuerbordschanzkleid wuchten, um die Tampen der Taljen unter ihr durchziehen zu können, und es gelang ihnen auch mit großer Mühe, nur hatten sie nicht mit der Brüchigkeit der Reling gerechnet. Mit einem Knirschen gab das morsche Holz nach, die Truhe war nicht mehr zu halten. Unter den Schreckensschreien der Männer und den Flüchen ihres Kommandanten rauschte die Kiste in die Tiefe und fiel – Glück im Unglück – nicht ins Wasser, sondern auf die Rambate der
Yildirim.
Sie kam mit einer ihrer eisenbeschlagenen Ecken auf, durchschlug die halbe Kampfplattform und sprang auseinander. Ein glitzernder Regen aus Gold, Silber, Geschmeide, Ketten, Kreuzen, Schmuck, Juwelen und schweren Münzen ohne Zahl ergoss sich über die Galeere.
    Mehmet Pascha hatte seinen Schatz bekommen. Wenn auch ganz anders als erhofft.
     
    Die vergangene Stunde hatte Tod und Trauer über die
Señora de la Inocencia
gebracht, und doch war diese Zeit eine Wohltat für Vitus und seine Freunde gewesen. Denn sie hatten zunächst kaum, später gar nicht mehr rudern müssen.
    Ihre geschundenen Körper hatten sich erholen können, während ihre Augen das Geschehen wie gebannt verfolgten. Sie wussten genau: Viel, wenn nicht alles hing vom Ausgang des Kampfes ab.
    Ein Sieg Mehmet Paschas mochte dabei noch nicht viel verändern, anders sah es bei einem Erfolg der Spanier aus. Dann konnte ihnen die Freiheit winken, aber auch der Tod – falls die
Yildirim
sank und ihre Ruderer mit in die Tiefe riss.
    Zu Vitus’ Abscheu und Entsetzen war Mehmet Paschas hinterhältige, feige Kriegslist belohnt worden. Der Spanier wurde überwältigt und sank, und sogar eine der begehrten Schatztruhen schien erbeutet worden zu sein. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Kiste geriet außer Kontrolle, krachte auf die
Yildirim
herunter, und ihr unschätzbar wertvoller Inhalt verstreute sich weithin. Nach einem Augenblick des Schreckens und des ungläubigen Staunens hob ein ohrenbetäubendes Gebrüll an. Die Piraten, von ihrem Kommandanten halb liebevoll, halb verächtlich Ratten gerufen, glichen jetzt eher Geiern und stürzten aus allen Richtungen herbei, um sich der Kleinodien zu bemächtigen, egal, wo sie lagen – ob auf der Plattform oder darunter, ob zwischen Rammbock und Ankerwinde, neben den Geschützen oder auf den seitlichen Laufstegen. Ja, sogar bis zum Boden des Unterdecks, in den Sumpf

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