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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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freilassen?«
    »Ja, das ist mein Wunsch.«
    »Soso, dein Wunsch.« Er schürzte die Lippen. Dann konnte er nicht umhin zu fragen: »Und es geht dir nicht nur darum, dass der kleine Geschichtenerzähler ungeschoren davonkommt?«
    Jetzt, wo sie das Thema angeschnitten hatte, wurde Rabia mutiger. »Der kleine Geschichtenerzähler ist ein guter Schachspieler, mehr nicht. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich lieber mit dir heiße Minze trinke, als mit ihm am Brett zu sitzen. Das ist die Wahrheit.«
    »Hm, hm.« Hadschi Abdel Ubaidi schien besänftigt. »Und wie hast du dir das Ganze vorgestellt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass unsere Sklaven genauso wenig verbrochen haben wie Yussuf. Im Gegenteil, der blonde Cirurgicus hat Ngongo sogar am Auge operiert. Ich war selbst dabei. Er ist ein sehr guter Arzt. Der einzige Unterschied zwischen den Sklaven und uns besteht in ihrem Unglauben. Wenn wir es zulassen, dass sie in die Foggara kommen, werden sie dort in kürzester Zeit sterben – und nie mehr die Gelegenheit haben, auf den Pfad des Großen Propheten zu treten. Kann Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, das wollen? Ich glaube nicht.«
    »So, das glaubst du also nicht.« Gegen seinen Willen musste der Khabir lächeln. »Du verstehst es geschickt, deinen Standpunkt zu vertreten. Nur Allah weiß, wen ich mir mit dir ins Haus hole. Doch Scherz beiseite: Gesetzt den Fall, wir tun, was du vorschlägst, kannst du sicher sein, dass der Oberaufseher die Sklaven über kurz oder lang vermisst. Er wird eine Botschaft nach Tanger zu Sîdi Chakir oder zur Gebieterin Âmina senden, und unsere Tat wird ruchbar werden. Über die Strafen, die uns beide dann erwarten, will ich nicht reden, wir taten es bereits vorhin. Hast du das bedacht?«
    »Ja«, erwiderte Rabia kleinlaut, »und mir ist keine Lösung eingefallen. Es sei denn, wir bestechen den Oberaufseher.«
    »Das kommt auf keinen Fall in Frage. Der Bestecher und der Bestochene sind gleichermaßen erpressbar, sind ein Blatt im Winde der Hinterhältigkeit, sind nur Gewürm in des wahren Gläubigen Augen.«
    »Du hast Recht, mein zukünftiger Gemahl. Es war ein dummer Gedanke von mir. Ist nun das Schicksal der Sklaven besiegelt?«
    »Wir werden sehen«, brummte Hadschi Abdel Ubaidi.
    »Heißt das, du würdest ihnen die Freiheit schenken, wenn es eine Lösung gäbe?«
    »Wir werden sehen«, wiederholte der Khabir.

[home]
    Der Karawanenführer Hadschi Abdel Ubaidi
    »Die Sklaven, oh, Herr, wurden von Aziz el-Mamud,
deinem Oberaufseher der Palmenhaine,
in die Foggara geführt. Er wollte sich vergewissern,
dass sie dort an der richtigen Stelle eingesetzt würden.
Dann passierte das Unglück.«
    A
l-Haqq –
»Wahrheit«, so stand es in großen, verwitterten Schriftzügen über der Herberge. Doch die einzige Wahrheit war, dass es außer ihrer Größe keine schmutzigere Bleibe in Fez gab. Sie lag mitten in Fez el-Bali, der Altstadt, und bestand in erster Linie aus einem riesigen, gepflasterten Innenhof, in dem sich zahlreiche Tiere tummelten. Alle schrien und wieherten durcheinander, setzten Kot ab und fraßen mit mahlenden Kiefern aus den ihnen um den Hals gehängten Futtersäcken. Eine große Zisterne in einer der Ecken sorgte dafür, dass sie keinen Durst leiden mussten.
    Der Hof selbst war allseitig umgeben von kleinen Kammern, die an Zellen erinnerten. Sie waren nahezu lichtlos, denn die einzige Helligkeit fiel durch eine niedrige Tür in sie hinein. Ihre Einrichtung war spartanisch, da sie in der Regel nur gerade so groß waren, dass ein Mann der Länge nach darin ruhen konnte.
    Der Khabir hätte seiner angehenden Frau gern eine angenehmere Bleibe verschafft, aber die große Herde zwang ihn dazu, im
al-Haqq
zu nächtigen – ihn, Rabia und seine Treibermannschaft. Sie alle hatten gleich nach der Ankunft in der angrenzenden Funduk gegessen, nichts Besonderes, aber das zarte Hammelfleisch, das frische Gemüse und die aufgekochte Okra, eine Speise aus der Gombofrucht, waren nach der eintönigen Reisekost ein Labsal gewesen. Die Sklaven hatte er, nachdem sie ebenfalls hinreichend gesättigt waren, gut bewacht in den Hof schaffen lassen. Dort mochten sie getrost weiter unter freiem Himmel schlafen.
    Er klopfte gegen die mit zerquetschten Insekten übersäte Wand seines Raums. »Rabia, hörst du mich?«
    »Ja, ich höre dich.«
    »Kommst du zurecht mit deiner Kammer?«
    »Ja, es ist nur furchtbar stickig.«
    »Das tut mir Leid. Vielleicht kühlt es zur Nacht ein wenig

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