Die Mission des Wanderchirurgen
Posten über fünfzig Jahre innezuhaben. In dieser Zeit regierten nicht weniger als drei verschiedene Sultane, und jeder von ihnen bestätigte Yussuf in seinem Amt.
Dann jedoch kam ein neuer Herrscher auf den Thron, und im ersten Jahr seiner Macht geschah es, dass der Kaid verleumdet wurde. Seine Neider machten den Sultan auf die ungeheuren Kostbarkeiten aufmerksam, die sich im Hause Yussufs angesammelt hatten. Sie schworen bei Allah, dass solche Reichtümer nur durch Erpressung, Bestechung oder gar durch Veruntreuung der Palastschätze zusammengekommen sein konnten.
Der Sultan rief Yussuf zu sich und sagte ihm, wessen man ihn beschuldigte. Der Kaid entgegnete darauf nichts weiter, als dass ihn keiner der Vorwürfe treffe. Er habe ein reines Gewissen. Doch das Misstrauen, einmal gesät, keimte weiter in des Herrschers Herzen, und er wies Yussuf barsch darauf hin, dass er ein ehemaliger Sklave sei und als solcher ursprünglich nichts besessen habe. Er befahl ihm, den erschlichenen Reichtum und darüber hinaus all das, was ihm, dem Sultan, zukomme, von seinem rechtens erworbenen Besitz zu sondern.
›Jawohl, mein Gebieter‹, entgegnete Yussuf mit einer tiefen Verbeugung, ›ich will deinem Wunsch sofort nachkommen.‹
Daraufhin ging er in den Pferdestall, zog seine kostbaren Gewänder aus und schlüpfte in einen armseligen Kittel. Dann begann er auszumisten.
Als eine geraume Weile verstrichen war, wurde der Sultan ungeduldig und ordnete an, Yussuf zu suchen. Er war nicht wenig erstaunt, als kurz darauf der Kaid in Bettlerkleidung vor ihm erschien. ›Was hat das zu bedeuten?‹, fragte er.
›Oh, Herr‹, antwortete Yussuf, ›du befahlst doch, meine Habe von der deinen zu trennen. Meine Habe jedoch ist nicht mehr als das, was ich auf dem Leibe trage. Nur dieser Kittel war mein, als dein verehrter Vorvorvorgänger mich kaufte, und auch er gehört ja, streng genommen, nicht einmal mir, sondern dir – als dem von Allah bestimmten Nachfolger. Wie konnte ich also meinen Besitz von dem deinen trennen? Bin ich nicht noch immer dein Sklave? Befiehl deshalb deinen Verwaltern, sie mögen alles beschlagnahmen, was ich jemals für mich erwerben konnte. Es ist dein rechtmäßiges Eigentum.‹
Nun«, sagte der Khabir abschließend, »du kannst dir denken, wie die Geschichte endete. Der Sultan war über die Maßen gerührt von Yussufs Verhalten und zeigte sich von seiner großmütigsten Seite. Er verlieh seinem Hauptmann aufs Neue die Kaidswürde und gestattete ihm, alle seine Güter zu behalten.«
Hadschi Abdel Ubaidi lächelte. »Du siehst also, es wird einem in Fez nicht immer gleich der Kopf abgerissen. Im Gegenteil. Man ist hier so gastfreundlich wie nirgendwo sonst auf der Welt. Da vorn, wo die weiß gekalkten Häuser stehen, erwartet uns ein kühler Trunk.«
Der Khabir sollte Recht behalten. Als sie die erste Hütte erreicht hatten, fanden sie auf einem Mauervorsprung eine große Amphore mit frischem Wasser. Daneben eine Schöpfkelle und die in den Lehm hineingeritzten Zeichen
Maah el-sabil.
»Siehst du, einen schöneren Lohn nach langer Reise, als ›das Wasser des rechten Weges‹ zu genießen, gibt es nicht«, sagte er zu Rabia. Er gab das Haltzeichen für die Karawane, und sie beugten sich vom Kamelrücken hinab, um die Kelle zu ergreifen und daraus zu trinken. Nach ihnen, in langer Reihe, traten die Kameltreiber an, um ihren Durst zu löschen, und auf einen Wink des Führers erhielten sogar die Sklaven ein gutes Quantum.
Dann ritten sie weiter. Rabia war in Gedanken versunken, ihr ging die Geschichte von Yussuf nicht aus dem Kopf. Irgendwann, die Tore von Fez waren nur noch wenige hundert Schritte entfernt, sagte sie: »Der Sultan, der seinen Kaid begnadigte, war ein großmütiger Mann. Hättest du, mein zukünftiger Gemahl, ebenso gehandelt?«
Der Khabir war überrascht. Über diese Frage hatte er noch nie nachgedacht. Er strich sich über den Bart und sagte dann bedächtig: »Wenn jemand fünfzig Jahre treu gedient hat, sollte man nicht gleich das Schlimmste von ihm denken.«
»Das glaube ich auch.«
»Aber der Sultan hat Weisheit bewiesen und seinen Fehler wieder gutgemacht. Er hat den Kaid begnadigt.«
Rabia nickte und nahm all ihren Mut zusammen. Was sie jetzt sagen würde, hatte sie sich reiflich überlegt. »Wäre es nicht ebenso weise, mein zukünftiger Gemahl, wenn wir unsere Sklaven begnadigen würden?«
»Was?« Der Khabir glaubte, sich verhört zu haben. »Du meinst, wir sollen sie
Weitere Kostenlose Bücher