Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Unterhaltung ruhig noch ein wenig dahinplätschern. Der neugierige Moktar Bônali hatte es verdient.
    Sie sprachen über Kamele im Allgemeinen und über die Kamelzucht im Besonderen, tauschten sich über die letzten Rennen und ihre Gewinner aus, fragten einander nach dem gesundheitlichen Befinden, beklagten die ständig steigenden Preise und den Verfall der Sitten, redeten über Liebreiz und Schläue der Frauen, erkundigten sich nach Verwandten, begehrten zu wissen, was es sonst noch Neues gebe, und kamen endlich, nach über einer Stunde, auf den eigentlichen Grund von des Khabirs Besuch zu sprechen.
    »Als du dich vorhin nach meiner Gesundheit erkundigtest, mein Freund, vergaß ich zu erwähnen, dass mein Augenlicht nicht mehr das Beste ist, ja, um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss ich sagen, dass es zunehmend nachlässt. Ich vermag kleine Schrift kaum noch zu lesen«, sagte Sîdi Moktar einleitend.
    »Das zu hören tut mir Leid«, nahm der Khabir den Faden auf. »Es muss bei der Abwicklung deiner Geschäfte sehr hinderlich sein.« Dann verstummte er.
    Nun konnte der zierliche Handelsherr seine Neugier nicht mehr zurückhalten. Er rief: »Nun sag schon, spann mich nicht länger auf die Folter! Hast du das Lesegerät dabei?«
    Hadschi Abdel Ubaidi lächelte. »Aber natürlich. Allerdings muss ich einräumen, dass es selbst in Tanger nicht ganz leicht war, eine so starke Lupe aufzutreiben. Allah sei Dank, dass sie die Reise heil überstanden hat.« Er nestelte in den Falten seines Burnus und holte das Vergrößerungsglas hervor.
    »Gib es mir, gib es mir!« Sîdi Moktar konnte das Gerät gar nicht schnell genug bekommen. Als er es hatte, starrte er so selig darauf, als wäre es das persönliche Amulett des Großen Propheten.
    »Du musst vielleicht einen etwas schöneren Griff dafür anfertigen lassen«, sagte der Khabir.
    »Ja, ja.« Der zierliche Handelsherr hatte kaum zugehört. Er war an einen der Schränke getreten und holte ein kostbares Exemplar des Korans heraus. »Ich will die Lupe gleich einmal ausprobieren. Warte, ich schlage die Zweite Sure auf, denn die Erste kenne ich sowieso auswendig.«
    Er setzte sich unter die beiden Laternen und hantierte eifrig mit dem Gerät, dann begann er zu buchstabieren. Erst langsam, dann immer flüssiger:
    »Dies Buch, daran ist kein Zweifel,
    ist eine Leitung für die Gottesfürchtigen,
    die da glauben an das Verborgene
    und das Gebet verrichten
    und von unsrer Gabe spenden …
    Es geht, es geht!«, rief er begeistert. »Höre nur weiter:
    Und die da glauben an das,
    was auf dich herabgesandt ward
    und herabgesandt ward vor dir,
    und fest aufs Jenseits vertrauen.
    Diese folgen der Leitung des Herrn,
    und ihnen wird’s wohl ergehen …«
    Hadschi Abdel Ubaidi stellte sein Trinkgefäß ab, denn es war leer. »Wenn du dich freust, freue ich mich auch.«
    »Freuen ist gar kein Ausdruck! Endlich kann ich wieder Verträge und Schriftstücke entziffern, ohne mit den Augen ins Papier zu kriechen! Endlich muss ich nicht mehr so tun, als könne ich noch lesen. Die Schauspielerei ist vorbei. Ich kann es wieder! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, mein Freund.«
    »Aber ich. Indem du mir den Kaufpreis erstattest und außerdem meinen Aufwand entlohnst.« Der Khabir dachte an seine bevorstehende Hochzeit, die ein hübsche Summe verschlingen würde.
    »Aha.« Sîdi Moktars Freude schien wie fortgeblasen. »Und wie viel hattest du dir so vorgestellt?«
    »Drei spanische Golddublonen.«
    »Was? Sagtest du drei? D-r-e-i?« So laut Sîdi Moktar eben noch gejubelt hatte, so laut jammerte er jetzt. »Willst du, dass ich komplett verarme? Willst du mich und die Meinen in die Gosse stoßen? Allah, der Weltenkluge, der Rechenkundige, weiß, dass ich das nicht bezahlen kann!«
    Es entspann sich ein heftiges Gefeilsche, in dessen Verlauf es dem Khabir gelang, zwei Golddublonen für die Lupe herauszuschlagen und darüber hinaus einen großen Teil der Karawanengüter zu einem ungewöhnlich hohen Preis zu veräußern. Dennoch überraschte ihn das Ergebnis nicht, war er doch während der gesamten Verhandlungen in der stärkeren Position gewesen. Er hatte etwas in der Hand gehabt, das Sîdi Moktar unbedingt brauchte und das es sonst nirgendwo in Fez zu kaufen gab. Chakir Efsâneh, sein gestrenger Herr, würde sehr zufrieden mit ihm sein – und umso bereitwilliger die Hochzeit mit der Dienerin Rabia gutheißen. Ja, vielleicht würde er der Braut sogar zu einer kleinen Mitgift

Weitere Kostenlose Bücher