Die Mission des Wanderchirurgen
Wände holst. Zu viel Wissen ist auch nicht gut.«
»Die Gefahr besteht wohl nicht.« Der Khabir erhob sich von seinem Kissen. »Ich muss nun gehen, da alles andere ja besprochen ist. Rabia wartet im
al-Haqq
auf mich.«
»Das junge Glück!« Sîdi Moktar lachte verständnisvoll. »Ich wäre der Letzte, der dich aufhielte. Warte, ich bringe dich noch vors Haus.«
Draußen auf der Straße umarmte er den Khabir. »Du hast mir wirklich einen großen Dienst erwiesen, mein Freund. Ich danke dir nochmals für das Vergrößerungsglas.«
»Nicht der Rede wert«, antwortete Hadschi Abdel Ubaidi. »
Salam,
mein lieber Moktar.« Er wandte sich um und strebte zurück zur Herberge. Dann, plötzlich, blieb er noch einmal stehen und musste lächeln. Sîdi Moktar hatte es sich nicht verkneifen können, ihm noch einen letzten Satz hinterherzurufen:
»Auch wenn es mich ein Vermögen gekostet hat!«
»Deine heiße Minze ist mir offen gesagt viel lieber als das eisige Orangenwasser von Sîdi Moktar, meine Orchidee«, sagte Hadschi Abdel Ubaidi und blies in sein Tässchen, um den Trank zu kühlen. Er hatte soeben seinen Bericht über den Besuch bei seinem Freund beendet. Nun nahm er vorsichtig einen Schluck. »Hitze bekämpft man am besten mit Hitze, obwohl ich sagen muss, dass es in deiner Kammer mittlerweile recht gut auszuhalten ist.«
In der Tat hatten die Temperaturen des Tages nachgelassen, und auch die mustergültige Ordnung, mit der Rabia ihre wenigen Habseligkeiten in den als Schränke dienenden Wandnischen verstaut hatte, trugen zum Wohlbehagen des Khabirs bei.
Rabia nahm ebenfalls einen Schluck. Sie hatte sich entschleiert, wohl wissend, dass dies sich eigentlich nicht ziemte. Doch in Bälde würde der Khabir ohnehin ihr rechtmäßiger Ehemann sein, und sie hoffte, dass Allah ihr die kleine Sünde verzieh.
Hadschi Abdel Ubaidi jedenfalls hatte es längst getan. Es war das erste Mal gewesen, dass er ihr Antlitz unverhüllt sah, und was er im schummrigen Licht eines Öllämpchens erkennen konnte, war so umwerfend schön, dass er zunächst keine Worte dafür gefunden hatte. Doch dann war ihm ein altes arabisches Liebesgedicht eingefallen:
»Wenn ich Sonne nicht sein kann,
will ich Mond sein,
wenn ich Berg nicht sein kann,
will ich Tal sein,
wenn ich Löwe nicht sein kann,
will ich Lamm sein –
alles will ich sein,
nur wenn ich dein nicht mehr sein kann,
will ich gar nichts mehr sein.«
»Oh, meine Orchidee!«, hatte er ausgerufen. »Allah ist mein Zeuge, du bist schöner als Schehrezâd, die Erzählerin in
Alf laila waleila!«
Daraufhin hatte er sie geküsst …
Rabia nahm einen weiteren Schluck. Ihre Gedanken sprangen hin und her zwischen dem zauberhaften Moment des ersten Kusses und dem traurigen Schicksal von Chakir Efsânehs Oberaufseher. Der Mann lag jetzt tot unter Bergen von Erde und Geröll, und alles sprach dafür, dass seine Leiche niemals geborgen werden konnte. Ein Gedanke reifte in ihrem klugen Kopf heran. Sie sprach ihn aus, und der Khabir wog dessen Vor- und Nachteile ab. Dann nickte er bedächtig und antwortete:
»Ich wusste, dass du das vorschlagen würdest.«
»Und was hältst du davon, Abdel, mein zukünftiger Gemahl?«
»Wir werden sehen, wir werden sehen.«
Zehn Tage später trat Hadschi Abdel Ubaidi vor seinen Herrn Chakir Efsâneh. Des besonderen Anlasses wegen hatte er zusätzlich um die Anwesenheit der Herrin Âmina gebeten. Er trug seine besten Gewänder: einen kunstvoll gewickelten Turban, in dessen Mitte ein kleiner Smaragd blitzte, ein langes weißseidenes Hemd, über dem sich eine vielfach geknöpfte Weste aus dem Leder des Kamelkalbs spannte, einen buntstreifigen Tuchkattan, eine weite Pluderhose und Pantoffeln mit hochgebogener goldener Spitze. Dazu einen edelsteinbesetzten Dolch im Gürtel.
»Salam alaikum, as-Salama, as-Salamu alaikum«,
sagte er gemessen und verbeugte sich tief.
»Salam alaikum«,
erwiderte Sîdi Chakir verwundert. »Für einen, der gerade vom Kamelpfad zurück ist, bist du recht aufwendig gekleidet.«
»Ich habe meine Gründe, Herr. Erlaubst du, dass ich dir ausführlich berichte?«
»Ja, berichte«, fuhr die Gebieterin ungeduldig dazwischen. Sie hatte bereits Rabia wiederholt nach dem Verlauf der Reise gefragt, besonders natürlich nach dem Schicksal der Sklaven, doch zu ihrem Ärger kein Sterbenswörtchen aus ihrer Dienerin herausquetschen können. »Ich möchte end …«
»Du möchtest sicher von den kandierten Früchten«, unterbrach
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