Die Mission des Zeichners
ein Anwesen mit hübschem Blick auf die mit Wiesen gesprenkelten Hügel von Hampstead und Highgate zu leisten. Zu diesen gehörte George Chesney, Direktor bei der New River Company, die Quellwasser aus Hertfordshire von dem Reservoir in Islington zu einem nicht unbeträchtlichen Teil an die Londoner Bevölkerung weiterleitete. Sein Haus, das in der Great Ormond Street stand, wies mit der Rückseite auf dieses ländliche Panorama, während sich die Vorderseite mit einer prächtigen palladianischen Fassade der Stadt präsentierte.
Die Residenz der Chesneys war jedoch nicht Spandrels Ziel, so sehr er sich das auch gewünscht hätte. Das Jahr, in dem er für Monsieur Taillard gearbeitet hatte, hatte ihn von vielen Illusionen befreit, vor allem von der Vorstellung, dass man, ob Schönheit oder Reichtum, irgendetwas kostenlos bekommen könne. Verbessern ließ sich das Dasein nur durch ehrliches Streben. Solchem Bemühen verdankte er seine finanzielle Unabhängigkeit, wohingegen ihm sein Glücksrittertum und die Jagd durch halb Europa nichts als Angst und Verzweiflung eingebracht hatten. Das alles lag jetzt hinter ihm. Er vermisste den alten Taillard schmerzlich und hätte sich gewünscht, dem armen Kerl wären noch ein paar Jahre mehr vergönnt gewesen. Doch durch seinen Tod war es Spandrel über Nacht möglich geworden, seinen Stand in der Gesellschaft zu verbessern, und dafür benötigte er auch eine Ehefrau und keine Geliebte aus irgendwelchen Träumen, die einen in Abenteuer lockte. Und Maria Chesney wäre die ideale Ehefrau. Aber war sie noch frei? Nun, er konnte schlecht bei ihrem Vater anklopfen und fragen. Doch er konnte sich bei Sam Burrows, dem redseligen Diener der Chesneys, erkundigen, der, wie er ihn kannte, keinen Samstagabend verstreichen ließ, ohne der Taverne The Goat einen Besuch abzustatten.
»Mr. Spandrel, so wahr ich lebe und atme!« Sam war bereits beschwipst und grinste von einem Ohr zum anderen. Er hatte, wie er erklärte, einen einträglichen Nachmittag bei den Hahnenkämpfen verbracht und feierte jetzt kräftig. Aber das Übermaß an Ale konnte seine Überraschung nicht ganz verbergen. »Ich hatte schon gedacht, Sie sind unter der Erde oder hinter Gittern.«
»Und mit beidem hatten Sie beinahe Recht.«
»Aber jetzt sind Sie hier und sehen aus wie ein richtiger Gentleman.«
»Das liegt daran, dass ich einer bin.«
»Wenn Sie es sagen, Mr. Spandrel.«
»Und ob.«
»Was führt Sie hierher?«
»Können Sie's nicht erraten?«
»Ach, das!« Sam stellte seinen Krug auf den Tisch und wischte sich den Mund ab. »Sie sind immer noch hinter Miss Maria her?«
»Das kann schon sein.«
»Das tut mir Leid, Mr. Spandrel.« Und es gereichte Sam zur Ehre, dass er ein Gesicht zog, als fühlte er tatsächlich Mitleid mit Spandrel. »Sie kommen zu spät.«
»Sie ist schon verheiratet?«
»So gut wie. Nächsten Juli wird sie Mrs. Surtees sein.«
Spandrel seufzte. »Na ja, wahrscheinlich hätte ich...« Er hielt jäh inne. Seine Augen bohrten sich in die von Sam. »Haben Sie Surtees gesagt?«
»Ja.«
»Doch nicht... Dick Surtees?«
»Na ja, er nennt sich Richard, aber...« Sam legte die Stirn in Falten. »Kennen Sie ihn denn?«
31 Ein Freund in der Not
In ihrer Lehrzeit hatten Spandrel und sein damals bester Freund Dick Surtees das Ende des Arbeitstages oft im Hood Inn in der Nähe von Smithfield begossen. Wenn Spandrel in seinem kurzen Brief an Surtees den Gasthof auch jetzt wieder vorgeschlagen hatte, dann allein aus dem praktischen Grund, dass er am Sonntag immer noch geöffnet hatte und Dick wusste, wo er war. Als er dort aber am nächsten Nachmittag wartete, nagten bald Zweifel an seiner Wahl des Treffpunkts. Zunehmend bedrückten ihn Erinnerungen an all das, was er in den Jahren danach verloren hatte, nicht zuletzt Dicks Freundschaft.
Spandrel hatte sich darauf eingestellt zu erfahren, dass Maria geheiratet oder sich verlobt hatte. Ja, eigentlich hatte er fest damit gerechnet. Aber dass ihr Zukünftiger kein anderer als Dick Surtees sein sollte, der gescheiterte Kartenzeichner, der in der Welt hoch hinauswollte, das war ein Schock für ihn, von dem er sich immer noch nicht erholt hatte. Grund, sich zu beschweren, hatte er nicht. Dick schuldete ihm nichts, außer einer Erklärung. Richtig, das zumindest stand für Spandrel fest: Man schuldete ihm eine Erklärung.
Offenbar sah Surtees das genauso, denn nur wenige Minuten nach dem von Spandrel angegebenen Zeitpunkt schob sich seine vertraute
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