Die Mission
Hauptsturmführer?«
»Nur sechs, Kamerad Standartenführer.«
»Sechs? Wie viele Aufständische haben Ihrer Meinung nach diesen Ort gehalten?«
»Ich bin mir nicht sicher, Kamerad Standartenführer. Im Verlauf des Überfalls haben sie an die hundert Mann verloren.«
Clement versetzte einem der toten Aufständischen einen Tritt in den Arm. Auf dem weißen Armband stand mit roter Schrift: FAW-D. FAW bedeutete »Freie Armee Warschaus«, also bedeutete das »D« wahrscheinlich Dashwood – diese kleine Trixie Dashwood machte sich.
»Die FAW-D ist das beste Regiment, das die Polacken haben, Kamerad Standartenführer. Wir glauben, dass diese Einheit für die Entführung der Kähne verantwortlich war, kurz vor dem vorverlegten Angriff auf das Ghetto.«
Clement nickte. »Liegen Leichen im Innern?«
Der Hauptsturmführer geleitete Clement in die große Halle, die abgesehen von einigen zerbrochenen Kandelabern und dem Rauch aus dem Einkaufszentrum völlig unbeschädigt war. Und obendrein leer, es war keine Seele zu sehen, weder tot noch lebendig. »Und? Wo sind die Aufständischen, Kamerad Hauptsturmführer?«
»Sie sind nicht da, Kamerad Standartenführer.«
»Verdammt nochmal, das sehe ich auch!«, herrschte Clement ihn an. »Wollen Sie mir weismachen, dass sechs Aufständische fünfhundert SS -Männer mehr als eine halbe Stunde aufhalten konnten?«
»Äh … jawohl, Kamerad Standartenführer.«
»Das ist ein starkes Stück, Kamerad Hauptsturmführer. Wenn Sie herumlaufen und behaupten, einer dieser Rebellen sei genauso viel wert wie neunzig von unseren SS -Sturmtruppen, werden Sie den Löffel bald abgeben. Das ist Ketzerei.«
Das Bedauerliche war nur, dass es die einzig logische Erklärung war, es sei denn, die Aufständischen hatten sich mit der Unterstützung einer Zauberin in Luft aufgelöst.
Sogar Ella war erstaunt, als es ihr gelang, tatsächlich ein Einstiegsloch in den Boden des Banksaals zu zaubern. Dabei wusste doch jeder in der Demi-Monde, dass ManteLit undurchdringlich war.
»Wie?«, fragte Vanka, während er mit offenem Mund auf den Kanaldeckel starrte.
»Ich habe die Konfiguration der Kanalisation in der Demi-Monde verändert und einen Tunnel direkt unter die Bank umgeleitet. Los, wir müssen uns beeilen. Ich habe die Änderung auf zwanzig Minuten programmiert. Das verschafft uns genügend Zeit, um zu fliehen, und ist hoffentlich nicht so lang, dass die SS herausfindet, wie wir entkommen sind.« Dann wandte sich Ella an die Überlebenden des FAW-D -Regiments.
»Wenn wir jetzt gehen, haben wir eine Chance, mit dem Leben davonzukommen.«
Das musste man Trixie Dashwoods Männern nicht zwei Mal sagen. Augenblicklich schoben sie den Kanaldeckel beiseite, und dann folgten ihr um die hundertneunzig Überlebende durch die Kanalisation zurück in die Industriezone. Zwanzig Minuten lang wateten sie knietief durch eine Brühe aus Fäkalien und Schlamm, bis Ella stehen blieb und darauf bestand, als Erste die Sprossen hinaufzusteigen und den Kanaldeckel aufzuschieben. Als sie den Kopf herausstreckte, atmete sie erleichtert auf. Dieses Mal hatte PINC sie nicht im Stich gelassen. Sie tauchten mitten in der Warschauer Industriezone auf, umringt von einer lärmenden Menschenmenge. Die Leute hießen sie jubelnd willkommen, und im Nu war der Delegierte Trotzki zur Stelle, um die heimkehrenden Truppen in Empfang zu nehmen.
»Ah, die große Wundertäterin höchstpersönlich«, gluckste er, während er Ella aus der Kanalöffnung half. »Sie haben ein bemerkenswertes Zauberstück fertiggebracht, junge Dame.«
»Ist die Grenzschicht auf?«, fragte Ella und wischte sich den gröbsten Dreck von der Latzhose.
»Ja, genau wie Sie gesagt hatten.«
»Wann?«
»Vor zwanzig … dreißig Minuten.«
»Und haben Sie alle durchgebracht? Die Öffnung in der Grenzschicht schließt sich nach einer Stunde wieder.«
»Alle Pilger …«
Pilger?
»… die mitwollten, sind nun auf der anderen Seite der Grenzschicht. Aber bitte kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst. Die Menschen wollen sich bei ihrer Retterin bedanken, ehe die Grenzschicht sich wieder schließt.«
Obwohl Ella völlig erschöpft war, ließ sie sich durch die Straßen der Industriezone an die Stelle bringen, wo sich die Grenzschicht geöffnet hatte. Dort erwartete sie ein einzigartiges Schauspiel. Es war, als hätte man einen fünf Meilen langen Vorhang aus feinstem blauem Chiffon zurückgeschlagen, um im Großen Jenseits dahinter eine riesige, scheinbar
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