Die Mission
endlose Ebene zu enthüllen. Und dort in dieser unendlichen Weite von Gras und Wald standen schweigend und unsicher die Bewohner Warschaus. Es waren Unzählige: Männer und Frauen trugen Bündel und Koffer, Kinder saßen auf Karren und hielten Puppen und andere Spielzeuge in den Händen, Familien mit Pferden und Körben voller gackernder Hühner. Sie wirkten verängstigt – viele zu Tode erschrocken –, aber sie strahlten auch eine Entschiedenheit aus, die Ella mit einem seltsam erhebenden Gefühl erfüllte. Sie betrachtete den gewaltigen Exodus. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass Menschen einen so unzähmbaren Willen aufbringen könnten, um trotz des geballten Hasses und der Wut, mit denen das ForthRight sie bekämpfte, immer noch die Kraft zu finden, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen.
Unter den Auswanderern war auch Major Dabrowski, er lehnte an der Schulter einer jungen Frau. Als Ella an ihm vorbeiging, salutierte er. Er sah erschöpft, aber glücklich aus. Ella dachte, dass es vielleicht das war, was Dabrowski brauchte, ein neuer Anfang weit weg von Gewalt und Tod.
Während sie auf die offene Grenzschicht zuging, teilte sich die Menschenmenge. Die Männer und Frauen der FAW folgten Dabrowskis Beispiel und salutierten ebenfalls. Es war ein surrealer Augenblick, den sie nicht unbedingt genoss. Dazu war ihr das alles viel zu peinlich.
Am Rand der Grenzschicht blieb Trotzki stehen und wandte sich mit kräftiger Stimme an das Warschauer Volk. »Lady IMmanual …«
Lady IMmanual? Wo hatte er denn das her?
»… Sie sind unser Ersehnter Messias, den ABBA geschickt hat, um uns aus den Klauen des Todes zu befreien und in das Gelobte Land zu führen. Dafür danken wir Ihnen und geloben, Sie niemals zu vergessen.« Dann kniete er vor Ella nieder und küsste ihr die Hand. Auch die Menschenmenge kniete nieder.
Ella stand nur da und trat verlegen von einem Bein auf das andere.
»Wollen Sie noch etwas sagen, bevor wir diese Welt der Zwietracht für immer verlassen?«, fragte Trotzki.
Jetzt soll ich auch noch eine Rede halten. Aber was sagt man Menschen, die einer ungewissen Zukunft entgegengehen?
Ella wandte sich der Unzahl kniender Menschen zu. Und mit einem Mal erinnerte sie sich an eine weit zurückliegende Zeit, als sie an derselben Stelle gestanden und die Huldigungen ihres Volks entgegengenommen hatte. Doch damals war sie nicht Ella Thomas gewesen, sondern …
Wer?
Damals hatte sie nackt, mit kahl geschorenem Schädel vor ihren knienden Untertanen gestanden. Ihre Haut war dunkelrot gefärbt und ihr ganzer Körper mit schwarzen Schlangen tätowiert. Sie konnte sich sehen. Die Offenbarung war so echt, dass es wie ein déjà vu war. So echt, dass sie ein déjà vécu war. Das Gefühl, dass sie ein früheres Leben gehabt hatte … als heidnische Göttin.
Lilith …
Dann verschwand die Vision so schnell wie sie gekommen war, doch dieser Flashback hatte etwas in ihrem Innern verändert. Mit einem Mal fielen ihr die Worte wie von selbst ein. »Wir sind anders«, rief sie, so laut sie konnte. »Die Demi-Monde ist nicht meine Heimat, ich kam ungern hierher. Trotzdem habe ich von den Menschen Warschaus in der Demi-Monde eine Menge gelernt. Und das Wichtigste ist, dass jeder Mensch, Mann, Frau oder Kind unabhängig von seiner Herkunft, seinem Aussehen und seinen Überzeugungen die Möglichkeit verdient, frei zu leben, ohne verfolgt zu werden. Mein Mitgefühl gilt all jenen, die ihre Liebsten verloren haben …« Als sie an die vielen armen Männer, Frauen und Kinder dachte, die die SS ermordet hatte, hielt sie kurz inne. »Aber jetzt, dank ABBA und dem IM Manual, habt ihr die Chance auf einen Neubeginn erhalten, ohne Hass und ohne Feindschaft. Baut eine Welt der Toleranz und des Verständnisses auf, eine Welt, in der die Unterschiede Männer und Frauen verbinden, statt sie zu trennen, in der jeder, unabhängig von seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft, gleich behandelt wird. Ihr habt jetzt die Möglichkeit, eine neue Welt zu schaffen, und ich appelliere an euch, schafft nicht nur eine neue Welt, sondern eine, in der es gerecht und friedlich zugeht. ABBA sei mit euch.«
Trotzki stand auf und verneigte sich. »Wir werden uns dem Gott ABBA und seiner Heiligen Tochter, die er zu uns sandte, um uns ins Gelobte Land zu führen, stets verbunden fühlen. Unser Messias: Lady IMmanual. Von heute an wird dieser Tag für uns heilig sein. Der Passah, der Tag, an dem unser Volk mit dem Segen Lady IMmanuals von
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