Die Mission
Handschuhe. In einem verzweifelten Versuch, ihre Hände nicht zu zeigen und sie daran zu hindern, vor Panik zu zittern, legte Ella sie auf den Schoß und verschränkte sie. Sie spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich – leider keine allzu passende Beschreibung – und sich der Schweiß in den Achselhöhlen sammelte.
»Der Kerl ist jetzt zwei Tische von uns entfernt«, sagte Vanka seelenruhig. »Wenn ich sage: ›Lachen Sie‹, will ich, dass Sie in schallendes Gelächter ausbrechen. Und dann halten Sie sich Ihre Serviette verlegen vor den Mund. Das wird die Nervosität überdecken, die sich bereits in Ihrer Körpersprache äußert.« Er sah auf. »Einen Tisch entfernt. Ach ja, und wenn man Sie nach Ihrem Wohnsitz fragt, sagen Sie, Morgan Street dreiundzwanzig A, übrigens heißen Sie Delores Delight. Und jetzt, lachen Sie!«
Es war reine Hysterie, die ihren Lachanfall provozierte, und sobald Ella zu lachen begonnen hatte, merkte sie, dass sie gar nicht mehr aufhören konnte. Sie hatte keine andere Wahl, als sich die Serviette vor den Mund zu halten, um ihr peinliches Gackern zu dämpfen. Erst als die große Gestalt des schwarz uniformierten Checkya-Offiziers an ihrem Tisch auftauchte, verstummte sie vor Schreck und versteckte ihre Hände samt Serviette unter dem Tisch.
»Ausweis, Kamerad!«, bellte der Offizier.
Vanka reichte ihm seinen Ausweis, und der Mann mit den buschigen Augenbrauen und dem riesigen gezwirbelten Schnurrbart studierte ihn aufmerksam. »Sie sind also aus Rodina.«
»Ganz recht, Offizier. Ich habe geschäftlich in den Rookeries zu tun.«
»Wo wohnen Sie während Ihres Aufenthalts hier?«
Vanka zog eine Karte aus der oberen Brusttasche. »Im Hotel Metropolitan, an …«
»Ich kenne das Hotel Metropolitan«, unterbrach ihn der Offizier schroff. »Was für Geschäfte haben Sie in den Rookeries?«
»Ich bin ein staatlich anerkanntes Medium, Herr Offizier.« Vanka zog hastig seine Zulassung hervor und lächelte. »Ich werde die ganze nächste Woche Séancen im Prancing Pig abhalten.« Er strahlte den Offizier erneut an. Aufs Lächeln verstand sich der Mann. »Wenn Sie mir Ihren Namen verraten, hinterlege ich an der Kasse ein paar Freikarten für Sie.«
»Ich mache mir nichts aus Okkultismus, Kamerad. Eine Gänsehaut krieg ich davon, ungelogen. So was soll man lieber den Experten wie Seiner Heiligkeit, Kamerad Crowley überlassen.« Anschließend wandte sich der Offizier Ella zu und ließ seinen Blick langsam über ihren Körper gleiten. »Ihre Papiere, Fräulein.«
Um Haaresbreite wäre Ella ohnmächtig geworden, doch dann erinnerte sie sich daran, dass dies womöglich ihre letzte Handlung als freie Frau war, und griff in ihre rechte Manteltasche, um den Ausweis herauszunehmen.
Er war verschwunden!
Eiskalt lief es ihr über den Rücken.
»Ich habe sie verloren«, sprudelte es aus ihr heraus.
Vanka lachte bloß leise in sich hinein. »Nur die Ruhe, Delores, mein Schatz. Der Offizier beißt nicht. Ich meine mich zu erinnern, dass du sie in die Innentasche des Mantels gesteckt hast, als wir heute Abend aus dem Hotel gingen.«
Ella war von Vankas Zuversicht dermaßen verblüfft, dass sie die Hand in die Innentasche steckte. Und tatsächlich, da fand sie zu ihrer Überraschung die Papiere.
Nun ja, nicht ihre wirklichen Papiere, aber zumindest irgendwelche. Sie reichte sie dem Checkya-Offizier, der sie sorgfältig überprüfte. »Adresse?«
»Äh …« Fast wäre ihr das Herz stehen geblieben, als ihr die Anschrift, die ihr Vanka gesagt hatte, nicht sofort einfiel. »Morgan Street dreiundzwanzig A«, sagte sie schließlich hastig.
Der Beamte zog enttäuscht die Nase hoch. »Und in welchem Verhältnis stehen Sie zu diesem Herrn, Miss Delight?«, fragte er barsch.
Noch ehe Ella auch nur ein Wort herausbekam, hatte Vanka die Frage für sie beantwortet. Er nahm ihre zitternden Hände in seine, sodass man ihre Hautfarbe nicht sehen konnte. »Delores ist meine Assistentin und meine Verlobte«, sagte er und warf ihr einen treuherzigen Hundeblick zu.
»Als Assistentin eines Hellsehers werden Sie nicht viel hermachen, wenn Sie sich nicht mal dran erinnern, in welche Manteltasche Sie ihre Papiere gesteckt haben.« Dann reichte er sie ihr zurück.
Ella gab sich Mühe, ihre Antwort so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. »Ach, wissen Sie, sogar eine Hellseher-Assistentin kann mal was vergessen, Herr Offizier.«
»Und einen Verlobungsring tragen Sie auch nicht«, sagte der Offizier.
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