Die Mission
das Wort Gefahr nicht unterdrücken.
»Tja, diese Reaktion war wirklich nicht zu übersehen. Fühlen Sie sich tatsächlich durch die Anforderungen Ihres Professors gefährdet?«
In Ellas Kopf läuteten plötzlich sämtliche Alarmglocken. Er war dabei, viel zu viel über sie zu erfahren. »Hören Sie, ich finde das Ganze nicht besonders lustig.«
»Ich versuche nur, Ihnen zu zeigen, wie Wahrsagen funktioniert, Ella«, erklärte Vanka mit ach so vernünftiger Stimme. »Es gibt nichts, wovor Sie sich fürchten müssten. Vielleicht sollte ich Ihnen noch einige spezifische Fragen stellen. Schließlich weiß ich recht wenig über Sie, und wir werden immerhin Partner sein. Womit sollte ich beginnen? Sagen Sie, aus welchem Teil des Yank-Sektors kommen Sie eigentlich?«
»Wieso glauben Sie, dass ich eine Yank bin?«
»Erstens wegen Ihres Akzents, und zweitens wegen der Art, wie Sie beim Essen die Gabel halten. Das Problem ist nur, dass Sie eine Shade sind.«
»Ich mag das Wort Shade nicht. Es ist abwertend.«
Vanka lachte. »Das sehe ich. Also wie soll ich Sie nennen: Schwarze, Bimbo, Sambo, Nigger …?«
»Hören Sie auf! Ich bin eine Farbige.«
»Na schön. Nur bin ich noch nie im Leben einer farbigen Yank begegnet. Sie sind mir ein richtiges Rätsel, Ella, Sie sehen aus, als kämen Sie aus NoirVille, aber Sie hören sich an, als wären Sie aus Washington.«
Einen Moment lang wusste sie nicht, was sie darauf antworten sollte. Zum Glück griff PINC ein und ließ ihre falsche Lebensgeschichte in ihrem Kopf aufblitzen. »Ich wurde in NoirVille geboren und dann von einer Yank-Familie adoptiert. Aufgewachsen bin ich in Fairmont Heights.«
»Interessant«, murmelte Vanka und liebkoste ihre Finger mit den seinen. Es war ziemlich irritierend. »Ihre Familie muss also die Unruhen erlebt haben. In Washington und Umgebung wurde hart gekämpft.«
»Ich bin ein Waisenkind. Meine Adoptivfamilie starb, als ich noch ein Baby war.«
»Natürlich.«
Ella ignorierte den Sarkasmus in seiner Stimme. »Während der Unruhen war ich in London in der Schule.«
»Und trotzdem haben Sie Ihren Yank-Akzent nie abgelegt?«
»Nein.«
»Als Yank und Shade haben Sie es bestimmt nicht leicht unter den Anglos gehabt. Die Yanks waren die glühendsten Royalisten. Sie waren die Letzten, die sich während der Unruhen der Partei ergaben. Wie ich gehört habe, hassen die Anglos die Yanks, und Feindschaften lassen sich im ForthRight nicht so schnell ausrotten. Was aber die Sichtweise der Anglos in puncto Shades betrifft … verzeihen Sie, in puncto Farbige …«
»London war kein Honigschlecken, aber richtige Probleme hatte ich zum Glück nicht.«
»Zumindest bis vor ein paar Tagen, als es zu dem bedauerlichen Zwischenfall mit unseren Freunden von der Checkya kam.«
Ella zuckte die Achseln.
»Wieso interessieren Sie sich eigentlich so für Dämonen, Ella?«
»Tu ich doch gar nicht.«
»Warum haben Sie dann gestern den Artikel im Stürmer ausgerissen?«
Ella verfluchte sich, weil sie die Zeitung hatte herumliegen lassen, zog ihre Hände zurück und warf Vanka einen finsteren Blick zu.
Er steckte sich eine neue Zigarette an und blies den Rauch an die Decke empor. »Da ist noch etwas, was Sie beim Wahrsagen verstehen müssen. Lügen erkennt man fast immer an der kurzen Pause, bevor sie geäußert werden. Selbst der gewiefteste Lügner braucht einen Augenblick, um sich auszudenken, was er sagen wird, ehe er antwortet. Sie haben mich eben belogen, Ella.« Er schnippte die Asche seiner Zigarette in den Kamin. »Wie gesagt, Sie sind mir ein Rätsel. Sie sind eine dunkelhäutige Frau, sind in NoirVille geboren, aber von Yanks adoptiert worden, die obendrein so rücksichtslos waren, das Zeitliche zu segnen, als Sie noch ein Säugling waren. Sie sind eine modische junge Frau, die im modischen London aufwuchs, ohne den modischen Anglo-Akzent anzunehmen. Sie sind in London auf die Schule gegangen, dabei weiß ich, dass Londoner Schulen niemals Sha- – Farbige – als Schüler aufnehmen würden. Und obwohl Sie angeblich in London aufgewachsen sind, wissen Sie nicht, dass die Soldaten des ForthRight rote Uniformen tragen. Sie haben einen Professor, vor dem Sie sich fürchten und von dem Sie glauben, er hätte Sie in ernste Gefahr gebracht. Sie interessieren sich seltsamerweise für Dämonen, versuchen es aber unter allen Umständen zu verbergen. Sie glauben nicht an Spiritismus, sind aber trotzdem die einzige echte Seherin, die mir je über den Weg
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