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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Stimmen.
    Füßetrappeln.
    Er hustet Blut.
    Die Schmerzen fühlt er kaum.
    Er weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist.
    Passanten sind da. Sie knien bei ihm. Er hört ihre Stimmen nicht, sieht die sich bewegenden Lippen, möchte nicht hinhören, denn in seinem Schädel saust es, während harte Schluchzer ihn schütteln. Dann die Polizei, die die Menge zerstreut und eine Trillerpfeife, es knackt im Sprechfunkgerät, jemand ruft den Arzt. Befehle schwirren hin und her, zwei Männer in engen T-Shirts. Man hat sie beobachtet, wie sie den Mann zusammenschlugen. Suchen und festnehmen.
    Arndt ist das egal. Er kennt sich aus mit Pressionen.
    Kennt das, seitdem er seine Sexualität entdeckte hat. Seitdem er dazu steht, denn er kann nicht anders. 600 Männer haben sich im letzten Jahr im Stern geoutet. Ich bin schwul , hieß die Überschrift und man hoffte, Dinge würden sich ändern. Es kam anders. Einer der Männer gab an, einen 17-jährigen Freund zu haben und schon schritt der Staatsanwalt ein und zwang den 40-Jährigen, den Namen des jugendlichen Liebhabers preiszugeben.
    Y.M.C.A. von den Village People ist ein Überhit. Alle tanzen danach und wissen gar nicht, was der Song bedeutet.
    Nichts ändert sich. Wird sich niemals ändern.
    1942 wollte Adolf Hitler alle Homosexuellen ausmerzen. Jetzt sind es Männer in engen T-Shirts.
    Arndt rappelt sich auf, hockt da wie ein verletztes Kaninchen. Ein Polizist fragt ihn, ob er in Ordnung sei? Ein anderer ermuntert ihn, sitzenzubleiben, bis der Arzt da ist.
    Doch Arndt will keinen Arzt. Will keine Polizei.
    Er hat ein paar geprellte Rippen und die Nase schmerzt höllisch. Er ahnt, dass er grausig aussieht, das Gesicht voller Blut, die schöne, geschmackvolle Bekleidung auch. Über seine Aktentasche rast die nächste U-Bahn, das Manuskript gibt es nicht mehr. Nur noch Fetzen weißen Papieres.
    Polizei und Arzt bedeuten zu viele Fragen, zu viele Antworten und ein ewiges Herumreiten auf seine sexuellen Präferenzen. Man wird nicht mit ihm sprechen, wie er es verdient, wird ihn nicht als Menschen sehen, sondern als Fehlgeleiteten, der es verdient hat, mal ordentlich eins auf die Schnauze zu kriegen. Das sagt niemand laut, aber ihre Blicke sprechen Bände. Niemand wird mit ihm über den neuen Lenz-Roman reden oder über Shakespeare diskutieren oder darüber, wie Thomas Mann seine Romane verfasste. Man wird nicht über Mode mit ihm reden, nicht über Fußball oder Autos oder Kinofilme, sondern darüber, wann er wo seinen Schwanz in wen steckt.
    Arndt kennt das.
    Deshalb schüttelt er sich frei. Wischt sich über das Gesicht und die schleimigblutige Hand an der Hose ab. Er winkt ab, bewegt sich wie eine Marionette zur Rolltreppe, will nur noch weg hier, vielleicht zurück in den Verlag, wo er sich reinigen kann, wo er ausruhen kann, irgendwohin, wo niemand ihn anstarrt.
    Vielleicht einfach zusammenbrechen und den Straßenmusikern lauschen, Kinder, die zur Gitarre singen , in ihrer Mitte ein alter Kerl mit Vollbart. Sich in den nächsten Springbrunnen werfen, sich abwaschen, sein Schwulsein abwaschen, das er in diesem Moment hasst und liebt gleichermaßen.
    Liebe Güte, er hat erneut einen Teil seiner Illusionen verloren, etwas könne besser werden, Toleranz könne wachsen und Menschen könnten lernen - und er hat einen wunderbaren Roman verloren, seine Chance, die Möglichkeit für einen Autor, von dem er noch nie etwas gelesen hat und dessen Name ihm nicht geläufig ist.
    Eigentlich hat er stets verloren, seitdem ihm sein Vater einen Schneidezahn ausschlug, als dieser begriff, dass er niemals Opa werden würde und Mama ihm heulend die Koffer packte. Seitdem der schöne Patrick ihn vor Jahren auf Schulden sitzenließ und Arndt aus der großen Wohnung geworfen wurde. Seitdem er in New York Darkrooms besuchte und man ihn später in einer Seitenstraße überfiel und ausraubte. 
    Wer etwas verliert, möchte etwas finden.
    Arndt möchte den einen Roman finden. Er hatte ihn. Zumindest das Gerüst dazu.
    Papier und sein Leben. Zerrissen in kleine Teile, die nicht zusammenzugehören scheinen. Zerstört wie Illusionen, die sich falsch neu zusammensetzen, zu den brüchigen Gedanken der erbarmungslosen Menschen in der großen Stadt.

10
     
    Nachdem Thomas die dritte Verlagsabsage bekommen hat, möchte er das Schreiben am liebsten lassen. Stets ist es ein Formtext, analoge Formulierungen.
    Das Verlagsprogramm lasse für die nächsten zwei Jahre keine neuen Autoren zu. Man wisse nicht, wie man

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