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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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wenn man den Autor entdeckt und fördert.
    Er liest die erste Seite, die zweite Seite. Dann das dritte Blatt, und schließlich blickt er auf. Ein schwaches Lächeln zieht über sein Gesicht und er verstaut das Manuskript in die Aktentasche. Ein paar Seiten lässt er zurück. Alles muss er nicht mitnehmen. Er zündet sich eine Zigarette an, wirft einen Blick zurück in sein karges Büro und verlässt das Gebäude.
    Er ist sich bewusst, dass ihm der Blick der Dame am Empfang folgt, und er ahnt, dass sie lächelt. Wenn er sich noch so angestrengt, er kann seinen Schritt, seinen weichen Gang nicht verändern, und inzwischen will er es auch nicht mehr. Er weiß, dass sein Hinterteil lasziv wirkt und er fast lautlos geht. Soll sie denken, was sie will.
    Er öffnet die Tür und der Lärm der Großstadt wirft sich ihm entgegen. Menschen eilen an ihm vorbei und sein Blick schweift hoch zur zerstörten Gedächtniskirche. Er geht über den Platz, auf dem Straßenmusiker die Stimmung anheizen. Auf dem Schild , vor dem mit Geldscheinen gefüllten Hut, steht Kelly Family . Schrieben die Zeitungen nicht, man habe diese Musiker für den neuen Zirkus Roncalli verpflichtet? Nun die Stufen runter zum Bahnhof Zoo. Von dort wird er zehn Minuten mit der U-Bahn bis nach Charlottenburg fahren.
    Hinter ihm lacht jemand und zwei Männer in engen T-Shirts winken ihm hinterher. Er dreht sich um und lächelt. Sie machen weibische Bewegungen und gehen rückwärts dabei.
    Liebe Güte, es ist dieser Trippelschritt. Was soll er dagegen tun? So sehr er sich bemüht, maskuline Kleidung wählt und sich sportlich hält, an diesem Schritt erkennt man ihn. So schwebt er zum Bahnhof, wo Penner auf Decken liegen und ihre Hunde hecheln. Punks hören kreischenden Rock aus überdimensionierten Kassettenrekordern, und die Polizei patrouilliert. Die sind froh, die Drogenszene an einem Ort zu haben, wo man sie leichter unter Kontrolle hat. Solange die braven Bürger nicht belästigt werden, ist alles in Ordnung.
    Andreas’ Blick fällt auf die Filmplakate des nicht weit entfernten Filmpalastes. Ganz Deutschland ist im Star-Wars -Fieber. Saturday Night Fever läuft immer noch und liefert sich ein Rennen mit Superman – der Film . Und für diejenigen, die vermutlich noch nie ein Buch gelesen haben, gibt es Eis am Stiel .
    Er geht in die Bahnhofshalle und fährt nach unten zur U-Bahn-Station. Dort setzt er sich auf eine Bank. Er hat noch sieben Minuten, bis die nächste Bahn kommt, also holt er das Manuskript aus der Tasche. »Die Tränen der Anderen«, ist der Titel des Romans und der Autor heißt Thomas Wille. Arndt setzt bei Seite 4 ein und vergisst, was um ihn herum geschieht. Er verpasst seine Bahn und der Bahnsteig hat sich geleert. Kaum noch jemand ist da. Und das ist ihm Recht. Er ist bei Seite 15, als er aufblickt, sich von den Worten löst.
    Er ist so sehr in das Gelesene vertieft, dass er die beiden Männer in den engen T-Shirts zu spät wahrnimmt.
    Und er kapiert zu spät, was sie von ihm wollen.
    Einer zieht ihn in die Höhe. Er hört die hervorgestoßenen Worte: »Schwuchtel, verdammte Schwuchtel!« Dann feuert die Faust in Arndts Magen und ihm wird schwarz vor den Augen. Er knickt zusammen und ihn trifft ein Tritt in die Seite. Bevor er reagieren kann, greift ihm jemand in die Haare, zerrt den Kopf zurück, ein gebräuntes Gesicht nähert sich seinem und aus dem schmallippigen Mund spritzt es: »Hör zu, du Transe. Wir mögen dich nicht, ist das klar?«
    Ei n dämlicher Satz, aber todernst gemeint.
    Der nächste Schlag bricht Arndt die Nase. Er stürzt zu Boden, schlägt hart auf die Knie und ein Tritt in die Rippen befördert ihn fast an den Rand des Bahnsteiges. Er versucht, sich aufzurappeln, denn auf die stromführenden Schienen will er nicht fallen, glotzt seine Peiniger an, schmeckt süßes Blut auf seinen Lippen und tut alles, um auf die Beine zu kommen. Aber die Schläger sind schneller. Einer zerrt ihn hoch, der andere schlägt zu. Einmal, dann noch einmal und Arndt bleibt die Luft weg. Er möchte kotzen, weinen und schreien gleichzeitig, doch er bringt, abgesehen von einem jämmerlichen Krächzen, nichts hervor. Schneller, als sein Herz schlägt, fegt es ihm die Beine unter dem Körper weg. Irgendwie nimmt er wahr, dass das Manuskript auf die Geleise flattert, Blätter regnen, seine Aktentasche hinterher, Tränen schießen ihm in die Augen, dann noch ein Tritt, und um ihn herum wird alles dunkelrot.
    Stille und

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