Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
die alte Unterdrückung durch die Gesellschaft längst ihre Wirklichkeit verlor.
Er hasste es, sich leidzutun und nahm an, was er war.
Er war authentisch.
Authentisch gewesen .
Arndt trocknet seine Tränen. Er duscht in der Badewanne, sucht seine schönste Kleidung aus dem Schrank und rasiert sich gewissenhaft. Er tastet seine Nase ab, die nach dem Bruch wieder gut verheilt ist. Immer noch schmal und gerade.
Er verlässt die Wohnung.
Er pfeift auf das maskuline Ideal. Er weiß, dass er sogar unter Schwulen schräg angesehen wird, da man das tuntige Gehabe ablehnt. Mit Lede r konnte er sich nie anfreunden und auch nicht mit der Travestie.
Er möchte fühlen wie ein trauernder Mann, aber das kann er nicht.
Zu sehr ist er in seiner Rolle, die er nicht will und doch will.
Reduziert, hätte Mark gesagt.
Na und? Das macht es leichter. Bringt einen zu sich selbst.
Eine halbe Stunde später öffnet Arndt die Tür der »Haci-Bar« am Savignyplatz. Donnernde Musik schlägt ihm entgegen. Es riecht nach Dope und Tabak. Schwarze US-Amerikaner mit eindrucksvollen Bizeps tanzen, feingebaute Südländer und Männer in Leder, Polizisten oder ganz und gar androgyn aussehende Ziggy Stardusts, wohin man blickt, und alle bewegen sich, drücken sich aneinander, schwitzen und küssen sich.
Reduziert.
Oder hatte Mark Unrecht?
Ist hier der wirkliche Ort, an dem Identität und Sexualität eine Kongruenz schaffen, die für jeden Menschen jedweder Schattierung wichtig ist?
Es ist so einfach.
Arndt stellt sich in Pose. Er ist schlank, Brusthaar quillt aus seinem Hemdkragen, durchaus männlich, seine Hose ist eng und betont nicht nur das Gesäß, sondern auch einen Penis, der sich sehenlassen kann. Einer von denen, auf die man geradezu versessen ist. Schmal, stramm, handlang und glatt wie der eines Jünglings. Seine Pose ist eine Aufforderung, und Testosteron explodiert im Rhythmus der Musik. Sade endet und Marlene Dietrich singt. Es dauert eine Weile, dauert, bis Marianne Rosenberg von ihm singt, der zu ihr gehört.
Neben Arndt streckt sich ein Mann, versucht lasziv zu wirken, der sofort als Hetero auszumachen ist, einer jener Familienväter, die sich entjungfern lassen wollen oder sowieso ein sexuelles Doppelleben führen. Davon gibt es mehr, als man glaubt. Kaum ein Schwuler, der den Genuss einer Hetero-Entjungferung nicht schon erlebt hat. Kaum ein Schwuler, der den Frust danach nicht kennt, wenn sich die Janusköpfe hastig ankleiden, stammeln und jammern und ganz schnell zu Frau und Kindern zurückwollen, obwohl sie noch vor Minuten Wachs in den ölenden Fingern des Partners waren.
Arndt leert den Blue Curacao und geht auf die Tanzfläche.
Es dauert nicht lange.
Ein hübscher Bursche schiebt sich an ihn heran. Duftend nach herbem Schweiß und einem Parfüm, das Arndt beseelt. Er spürt die Finger des Hübschen auf seinen Schultern. Blonde, lange wellige Haare. Ein kantiges Kinn, schöne Zähne. Der Mann lächelt und nickt. Beide sind sich schon jetzt einig.
Ja, es ist ganz einfach.
Mark hat ihn enttäuscht, hatte viel gesagt, doch letztendlich hatte er sich davongestohlen und ihn alleine und im Stich gelassen.
Zorn und Lust paaren sich in Arndt und er überlegt, ob der wahre Trost nicht doch im Schatten zu finden ist.
14
Solange Thomas sich erinnert, bewunderte er seinen Vater, doch auf eine subtile Weise hatte sich das geändert. Manchmal sind es die kleinen Bewegungen, das Zucken der Augenbrauen, das instinktive Versinken des Kopfes zwischen den Schultern, das einen Mann kleiner macht, als er sein will, was wie Feigheit wirken mag oder wie ein Mangel an Courage. Dadurch wird das Bild des Helden fransig.
Wie kann Vater damit leben, dass das eigene Portemonnaie leer ist, wohingegen der Besitzer des berühmten Fotos vermutlich große Kasse damit macht? Warum geht Vater der Konfrontation aus dem Wege? Er ist der Mann, der Colonel Legrange erschoss, und mit einem Teppich unter dem Arm den langen Weg nach Deutschland meisterte. Hat er das vergessen?
Thomas stiehlt sich aus dem Haus.
Seit dem Eklat vor ein paar Tagen hat er mit seinem Vater kein Wort gewechselt. Am Tisch begegnet man sich schweigend.
Thomas nimmt das Fahrrad und klingelt bei Martin. In der kleinen Wohnung des Freundes riecht es nach Marihuana und Deep Purple donnern aus den selbstgebauten Lautsprecherboxen.
Thomas wirft sich auf das Sofa und schwingt die Beine auf den Tisch mit Marmorplatte. Martin grinst schräg und wirft ihm eine Flasche
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