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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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war. Wenn die Blase verheilt war – wo würde sie sein? Würde sie in der neuen Heimat auch Rüschen an Blusenärmeln glatt bügeln? Wovon lebte ein Mädchen in Australien, wenn es nicht recht geschickt war, wenig Kraft besaß und nichts gelernt hatte?
    Als sie aufblickte, sah sie Mildred, die ihr gegenübersaß und ihre Habe umklammert hielt. »Freust du dich?« Wie hätte Daphne sich nicht freuen sollen, wo doch Mildred sich solche Mühe gab? Wünschten sich nicht Hunderte von Mädchen zu tun, was ihre Schwester ihr ermöglichte, der Not zu entfliehen und anderswo ihr Glück zu machen? Glück machen, wie seltsam das klang, als wäre Glück etwas zum Einkochen, für das man nur Zutaten auftreiben musste. Aber sie schweifte schon wieder ab, immer hing sie mit dem Kopf in den Wolken. Hastig riss sie sich zusammen.
    »Ja, ich freu mich, Milly-Milly. Natürlich freu ich mich. Dank dir, du Liebe.«
    Mildreds Lächeln wurde breiter. Sie war sehr hübsch, wenn sie so lächelte, fand Daphne. »Du musst mir nicht danken, Sperling. Wenn du dich freust, freu ich mich auch.«
    »Ich freu mich wirklich.« Ich freu mich, ich freu mich, ich freu mich. Als würden die Räder ein unentwegtes Echo dazu rattern.
    »Die Damen fahren nach Portsmouth? Da haben Sie allen Grund, sich zu freuen.«
    Daphne schreckte zur Seite. Neben ihr saß der Mann mit den zwei Koffern, der ihr in den Zug geholfen hatte. Er mochte mittleren Alters sein und hüllte sich in einen Kutschermantel, der abgetragen, aber warm wirkte. »Kaum zu glauben, wie die Stadt sich in den paar Jahren seit Ende des Kriegs entwickelt hat«, fuhr er fort.
    »Welcher Krieg?«, war es Daphne entschlüpft, ehe sie bemerkte, wie dümmlich sie klang.
    »Welcher Krieg?« Der Mann hob die Brauen bis in den Schatten der Hutkrempe. »Selbstredend der Krieg auf der Krim, mein Fräulein. Es mag ja wünschenswert sein, dass unsere Damen von Gräueln unbehelligt bleiben, aber dennoch komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wo Sie leben, dass Sie nicht wissen, von welchem Krieg die Rede ist.«
    »Da, wo wir gelebt haben, ist immer Krieg«, herrschte Mildred den Mann an. »Einer mehr oder weniger, weshalb soll uns das kratzen, bei uns verreckt man auch ohne Kanonen.«
    Daphne fuhr zusammen. Daran, dass die Schwester, die zu ihr immer nur liebevoll sprach, aus heiterem Himmel in solche Wut geraten konnte, würde sie sich nie gewöhnen. Denselben Jähzorn kannte sie von ihrem Vater und hatte ihn von klein auf fürchten gelernt. Sie tut es, um mich zu verteidigen, stellte sie nicht zum ersten Mal fest, wobei sie sich alles andere als behaglich fühlte.
    Auch der Mann, den Mildreds Zorn getroffen hatte, schien erschrocken. Er nahm seine Brille ab und tat, als müsste er sie putzen, rieb mit dem Zipfel seines Schals heftig über das Glas. Er tat ihr leid. »Ist es in Portsmouth schön?«, bemühte sie sich um einen unverfänglichen Gesprächsgegenstand.
    »Aber ja.« Dankbar blickte er auf. »Sehr schön, und wenn’s nicht am Geld fehlt, kann man eine Fahrt zur Isle of Wight unternehmen, wo die Königin ihre Sommerfrische hält. Nur hätten Sie zu einer anderen Jahreszeit reisen sollen, denn jetzt können Sie doch die nette Promenade nicht genießen. Der neue Pier eröffnet erst zur Saison, und an Hotels fehlt es ohnehin. Portsmouth ist nicht Blackpool. Bisher waren wir vor allem Garnisonsstadt, als Badeort müssen wir uns erst mausern. Ich hoffe, Sie haben reserviert? Dass Sie andernfalls ein erquickliches Quartier finden, bezweifle ich. Die meisten Hoteliers schließen ab Oktober ihre Häuser.«
    »Wir brauchen kein Quartier«, versetzte Mildred. »Meine Schwester und ich wandern nach Australien aus, und Ihre Hotels und Promenaden können uns gestohlen bleiben.«
    »Nach Australien?« Der Mann ließ endlich die Brille in Frieden. »Ich fürchte, da sitzen Sie im falschen Zug. Einen Clipper nach Melbourne bekommen Sie in Southampton. Oder noch besser in Liverpool.«
    Daphne sah Mildred den Mund öffnen, hörte aber nur das unentwegte Rattern der Räder, während ihr klarwurde, was das Gesagte bedeutete. Sie fuhren an einen Ort, wo es das, was sie suchten, nicht gab. An einen Ort, wo sie kein Quartier hatten und keine Menschenseele kannten. Es war kalt im Zug. Es würde draußen noch kälter sein. Aus Mildreds Mund drang noch immer kein Wort. Dann nur ein einziges, leises. »Aber …«
    »Je nun, meine Damen«, sagte ihr Mitreisender, »allzu sehr sorgen müssen Sie sich nicht. Die

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