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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Schultern und nickte dem Geschäftsleiter Wilson zu. »Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Mildred Adams, und dies ist meine Schwester Daphne.« Wie man sich zu derlei Anlässen ausdrückte, hatte sie aus Daphnes Romanen gelernt. Es klang genau richtig, sie durfte mit sich zufrieden sein.
    »Sie kommen aus London?«, fragte Wilson.
    »Woher wissen Sie das?«
    Der Geschäftsleiter klopfte sich aufs Ohr. »Gehör, meine Teuerste. Und ein wenig von jenem Gespür, das ich erwähnte. Erlauben Sie mir, weiterzuraten. Sie sind nach Portsmouth gekommen, weil Ihnen der Sinn nach dem großen Abenteuer steht. Nur wohin die Reise gehen soll, müssen Sie mir verraten. Amerika? Kanada? Zwei Damen von Welt steht ja alles offen.«
    »Australien!«, rief Mildred wie im Triumph.
    Sein Lächeln verbreiterte sich. »Für Sie nur das Beste. Darf ich fragen, ob Sie Ihre Passage bereits gebucht haben?«
    Fieberhaft überlegte Mildred. Wie ließ sich ihr Anliegen formulieren, ohne preiszugeben, dass ihre Geldmittel im besten Fall für ein Nachtessen und einen Schlafplatz genügten? Um Zeit zu gewinnen, biss sie noch einmal in den Apfel, bereute es aber, sobald der Saft der Frucht nach allen Seiten spritzte. Hatte ein Tropfen ihren Retter getroffen, hatte sie ihr Glück verscherzt?
    »Wohl bekomm’s.« Der Geschäftsleiter lächelte noch immer. »Wissen Sie, was ich sagen würde, wenn es mir ein weiteres Mal gestattet wäre zu raten? Ich würde sagen: Eine patente junge Dame wie Sie, die bucht nicht einfach eine Schiffspassage und überlässt den Rest dem lieben Herrgott, habe ich recht?«
    Mildred kaute auf dem Apfel und entschloss sich zu nicken. Hatte sie richtig gesehen? Hatte Wilson ihr zugezwinkert? »Milly«, wisperte Daphne neben ihr und klammerte sich an ihren Arm. Hastig klopfte Mildred ihr die Hand, damit sie Ruhe bewahrte.
    »Darf ich?« Wilson förderte ein Taschentuch zutage, wedelte übers Gestein und setzte sich neben Mildred. In seinen Schoß stellte er den Aktenkoffer und klappte ihn wie ein Schreibpult auf. »Sie wollen also vorsorgen. Sichergehen, dass ein behagliches Heim auf Sie wartet. Australien ist für Sie keine Laune, sondern der Boden, auf dem Sie Wurzeln schlagen wollen.«
    Wieder nickte Mildred.
    Wilson sandte ihr ein weiteres Lächeln. »Registriert sind Sie bisher aber noch nicht?«
    Mildred schüttelte den Kopf.
    »Meine liebe Miss Adams, ich wage zu behaupten, uns hat der Himmel zusammengeführt.« Er entnahm dem Koffer eine Mappe. »Vorausgesetzt, meine Firma hätte die Ehre, Sie selbst und die werte Schwester als Klientinnen begrüßen zu dürfen.«
    War Mildred ehrlich, so zerrte ihr Wilsons Ausdrucksweise inzwischen an den Nerven, zumal sie ständig überlegen musste, was er eigentlich meinte. Aber das war nun einmal der Preis für kultiviertes Betragen. Sie würde sich daran gewöhnen, wenn sie erst in ihrem Haus in Australien lebte und den Schlamm von Whitechapel für alle Zeit abgestreift hatte.
    Im Innern des Aktenkoffers machte Wilson sich Notizen. »Adams, Mildred und Adams, Daphne, gebürtig in London von beiderseits englischen Eltern, hat das seine Richtigkeit? Und wie alt sind die jungen Damen, wenn Sie es mir verraten würden?«
    »Zweiundzwanzig«, erwiderte Mildred, die neunzehn war. »Meine Schwester ist ein Jahr jünger als ich.«
    »Wie bezaubernd. In der Blüte der Jugend. Sie beide sind doch bei bester Gesundheit? Es gibt keinen Grund, warum sich kein Kindersegen einstellen sollte?«
    »Keinen«, murmelte Mildred, die natürlich wusste, worauf die Frage hinauslief. Jedes Mädchen, das vom Auswandern träumte, wusste es. Wer die Überfahrt nicht bezahlen konnte, dem blieb nichts anderes übrig, als sich einem Heiratsvermittler anzubieten. Sie hatte sich lange schon damit befasst, und doch schien der Gedanke, sich einem fremden Mann zu versprechen und von Kindern zu schwatzen, geradezu halsbrecherisch. Wenn sie an die Ehe dachte, so dachte sie an ihre Eltern. An Gebrüll und Gepolter, feuchte Kammern, deren Miete nicht bezahlt war, schlaflose Stunden, derweil der Vater seinen Rausch ausschnarchte und die Mutter in der Dunkelheit weinte. Hätte Mildred die Wahl gehabt, sie hätte im Leben keinen Mann genommen. Wie aber sollten sie dann nach Australien gelangen, wie jemals ein Haus mit weißen Säulen besitzen und auf seinen Stufen in der Sonne stehen? Wilsons Schreibfeder schabte über das Papier. Wenn es gar zu schlimm wird, können wir immer noch flüchten, beruhigte

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