Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
Vom Netzwerk:
Bursche zurück, »und zwar auf das, was du sagst, Teutone. Wenn meine Arbeit dir nicht schmeckt, mach den Kram allein.« Damit ließ er dem Gaul die Zügel schießen, trat einen Schritt beiseite und widmete sich seiner Feldflasche.
    Hector warf einen Blick nach seinem Buchhalter. Wie erwartet verkrampften sich die Züge des Eulengesichts, und die Brille rutschte vom Nasensattel. »Was denken Sie, Nettlewood«, fragte er launig, »ist der Kampfstier da unten wirklich ein Teutone?«
    »Wie bitte?« Gereizt schob Nettlewood die Brille zurück.
    »Ob der Deutscher ist, meine ich. Wenn man sich das Kreuz betrachtet, nicht ganz von der Hand zu weisen, was?«
    Der Buchhalter gab keine Antwort, und Hector wandte sich wieder dem Geschehen zu. Drei Schritte ging das Pferd von allein, so dass der Mann auf dem Balken sein Gleichgewicht fand und sich ein Stück weit nach oben rackern konnte. Dann aber tappte der Gaul wie zuvor sein Führer in ein Schlammloch. Aufwiehernd scheute er zurück und vollführte linker Hand einen Ausfallsprung.
    Hector seufzte fasziniert. Die Seile wurden seitwärts gerissen, der Karren geriet ins Schlingern und neigte sich bedrohlich nach links. Noch hätte der Unglücksrabe loslassen und dem Karren ausweichen können, doch er blieb mannhaft stehen und kämpfte mit geballten Schenkelmuskeln und klammernden Händen darum, das Gefährt in den Griff zu bekommen. Von neuem seufzte Hector. Das Wissen, dass alle Mühe sinnlos war, steigerte die Lust, derweil der arme Kerl ächzte und schwitzte.
    Letzten Endes musste er aufgeben, dulden, dass die Karre ihn niederriss. Zur Kugel gerollt, blieb er liegen, bis ein Rad ihn im Gesicht traf und er den Hang hinunterstürzte. Erdklumpen und Steine ergossen sich über ihn, und die Karre fiel in Hüpfern hinterdrein und traf ihn am Leib. Trotz des Lärms drehten die meisten Arbeiter nicht einmal die Köpfe. Nur einer der Aufseher, ein drahtiger Mann mit einem Gehstock, eilte zu der Stelle, an der der Verunglückte aufgeprallt war. Vielleicht hat er sich das Genick gebrochen, durchfuhr es Hector. Noch immer hielt der Mann die Beine umschlungen und das Gesicht an die Knie gepresst. Sein brauner Schopf sah hübsch aus zum Burgunderrot der Weste.
    Der Aufseher blieb vor ihm stehen und rief ein paar Worte, die ihn dazu bewegen sollten, sich zu rühren. Als der Gestürzte keine Anstalten machte, wurde der Aufseher lauter, und als auch das nichts half, schwang er den Stock und schlug ihn auf den Rücken.
    Hector war sicher, dass er ihn nicht prügeln wollte, sondern lediglich hoffte, ihn mit dem Hieb ins Leben zurückzutreiben. Letztendlich tat er das auch. Kaum getroffen, schnellte der Verletzte auseinander und sprang auf. Er war wahrhaftig ein Prachtkerl, überragte den Aufseher um gut einen Kopf und wirkte doppelt so breit. Seine Kleider waren schlammbedeckt und zerrissen, an Arm und Stirn blutete er. Er packte den Aufseher bei den Schultern und schüttelte ihm die Seele aus dem Leib. Der arme Teufel quiekte wie ein Schwein, ehe ein Steinschlag von Worten auf ihn niederprasselte, in einer Sprache, die Hector frösteln ließ.
    Die Erregung, die ihn packte, war ihm bekannt, allerdings nicht aus Nächten, in denen er über Bernice im Rüschenhäubchen seiner ehelichen Pflicht genügte. Der Kerl in der Grube war stark. Er mochte ein grobes Tier sein, aber er besaß die Kraft längst versunkener Götter, die gesoffen, geliebt und getötet hatten wie Naturgewalten. Würde er den Aufseher, auf den er einschrie, umbringen?
    Zu seinem Bedauern würde Hector nie erfahren, ob er es getan hätte, denn endlich schreckten die übrigen Wächter aus der Starre und eilten dem Gefährten zu Hilfe. Als ihr Zupfen ohne Wirkung blieb, befahlen sie Navvies hinzu, die das schöne Tier von seinem Opfer pflückten. Sie warfen ihn nieder, und jetzt bezog er von allen Seiten Prügel. Dass er einer der ihren war, kümmerte die Navvies wenig, wenn sie nur zuschlagen durften. Ein wenig dauerte es Hector, dass ein solch wohlgestaltetes Geschöpf derart gnadenlos verdroschen wurde, doch seinem Genuss tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil. So furchterregend der Mann gebrüllt hatte, so still hielt er unter den Schlägen. Fein, mein Hübscher. Dich kriegen die so leicht nicht klein.
    »Er ist einer«, vernahm er Nettlewoods Stimme neben sich.
    »Wie bitte?«
    »Ein Teutone. Deutscher. Das wollten Sie doch wissen.«
    »Und woher wissen Sie’s?«, entfuhr es dem verblüfften Hector.
    »Ich habe Ohren«,

Weitere Kostenlose Bücher