Die Mondrose
jemanden suchen lassen will?«, wiederholte sie verständnislos. »Woher soll ich das denn wissen, ich suche ja keinen.«
»Du hast recht. Die Frage war dumm. Woher solltest du so etwas auch wissen?« Er rückte mit dem Stuhl nach hinten, so dass sie ihn nicht länger berühren konnte, und sah aus, als zöge er sich in sich zurück.
Sukie begriff. Er wollte seine Schwester suchen, und wenn er weiterhin spüren sollte, dass sie für ihn da war, musste sie über diese Schwester mit ihm sprechen. Ein Einfall kam ihr. In einem der Zeitungsromane hatte sie davon gelesen, gerade kürzlich, in einer der spannendsten Folgen. »Hm«, machte sie, als würde sie angestrengt über seine Frage nachdenken. Dann hob sie wie in einem jähen Einfall den Kopf. »Ich glaube, mit einem solchen Problem wendet man sich am besten an einen Detektiv«, sagte sie. »Hast du darüber schon einmal nachgedacht, kennst du dich mit Detektiven aus? Es sind eigens ausgebildete, mit allen Wassern gewaschene Beamte der Polizei, die im ganzen Land Verbrecher und vermisste Personen aufspüren. Was denkst du, wäre das vielleicht etwas für deine Suche nach deiner Schwester?«
In seinen Augen blitzte Interesse auf. »Und du meinst, einen solchen Detektiv kann jeder beauftragen, der es sich leisten kann?«
»Warum nicht?«, erwiderte Sukie, darum bemüht, sich den Anschein zu geben, als würde sie sich mit der Materie seit langem beschäftigen. »Wenn du einen für deinen Fall interessieren kannst?«
»Sukie, du bist Gold wert!«, rief er und hob sein Glas. »Ach was, wer würde Gold haben wollen, wenn er einen Freund wie dich haben kann?«
Sukie nahm ebenfalls ihr Glas und nippte daran. »Ich bin eigentlich kein Freund«, sprach sie über den Glasrand vor sich hin. »Eine Freundin schon eher. Es ist übrigens nicht sehr schmeichelhaft für ein Mädchen, wenn von ihr gesprochen wird wie von einem Mann.«
Er schlug sich die Hand vor den Mund. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich wollte dir etwas Nettes sagen, und stattdessen beleidige ich dich.«
»Dir liegt eben doch nicht so viel an mir, wie du sagst.«
»Doch, Sukie, doch!« Er sprang halb vom Stuhl auf, besann sich und setzte sich wieder. »Du glaubst, ich achte dich gering, weil du …« Er rieb sich die Stirn und rang nach Worten, doch er fand keine.
»Weil ich mich an Männer verkauft habe?«, half sie ihm weiter. Sie würde es niemals auslöschen können. Es waren nur ein paar Wochen ihres Lebens, aber sie hingen ihr wie ein Stigma für immer an. Und von den Jahren mit Hector Weaver wusste er nicht einmal etwas. Wie hätte er sie achten oder gar lieben sollen, ein bis ins Mark verdorbenes Mädchen, wie hätte sie ihm je bedeuten können, was die Frau, deren Namen er nicht nannte, ihm bedeutet hatte?
»Glaubst du das wirklich von mir?«, fiel seine Stimme in ihr Schweigen. »Stell dir einmal vor, dieser Detektiv, zu dem du mir geraten hast, würde meine arme Schwester bald finden, aber er würde mir sagen müssen, dass Annette, um nicht am Hunger zu verrecken, sich so wie du verkaufen musste? Meinst du, ich würde sie dann weniger lieben? Im Gegenteil, Sukie. Ich würde alles tun, damit sie das Schreckliche, das sie erlebt hat, vergisst, und dasselbe täte ich auch gern für dich.«
»Annette ist deine Schwester«, erwiderte Sukie. »Ich bin es nicht.«
»Ich weiß«, sagte er. »Aber wenn du es möchtest, dann hätte ich gern, dass du dich wie meine Schwester fühlst. Du bist so gut zu mir, wie Annette es gewesen ist, und wenn wir sie finden und zu uns holen – meinst du nicht, wir könnten zu dritt wie eine Familie miteinander leben? Annette und ich hatten nie eine Familie. Ich stelle es mir ein bisschen wie den Himmel vor, eine zu haben.«
Sukie warf ihre Serviette auf den Tisch und schob den halb geleerten Teller beiseite. Es war sinnlos. Er würde sie nie so sehen, wie sie von ihm gesehen werden wollte, und dass daran das Leben, das sie geführt hatte, schuld war, wusste sie, was immer er beteuerte. Es war wie die Flecken, die Wein und Bratensauce auf dem Tischtuch hinterlassen hatten – sie mochten beim Waschen blasser werden, aber sie waren immer noch sichtbar und kündeten von dem, was am Tisch verzehrt worden war. »Ich möchte gern nach Hause«, sagte Sukie. »Mir ist der Appetit vergangen.«
»Habe ich dich verärgert?«, fragte er.
Sie sah ihm in die schönen schillernden Augen. »Vielleicht schon. Aber das lässt sich nicht erklären.«
»Versuch es«, bat er
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