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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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sie.
    Einen Herzschlag lang überlegte sie. »Dieser Frau würdest du nicht anbieten, deine Schwester zu werden«, sagte sie dann.
    »Welcher Frau?«
    »Mildred«, erwiderte Sukie.
    Victor zuckte zusammen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und an seiner Schläfe trat eine Ader hervor. »Ich habe dir gesagt, in meinem Haus wird der Name dieser Person nicht genannt«, presste er heraus.
    »Wir sind aber nicht in deinem Haus. Außerdem hast du mich gebeten, dir zu erklären, warum ich verärgert bin, und so habe ich es dir eben erklärt. Besser kann ich es nicht.«
    Er griff nach seinem Glas und leerte es in einem Zug. Als er es nachfüllen wollte, entdeckte er, dass die Flasche leer war, und winkte damit so ungehobelt wie ein Navvy, um eine neue zu verlangen. »Woher weißt du das?«, fragte er, und seine Augen wurden schmal.
    »Was?«
    »Das von ihr – und mir.«
    Sukie zuckte mit den Schultern. »Um das zu wissen, braucht man nicht schlau und gebildet zu sein. Du bist ein gutaussehender Mann, Victor, du bist liebenswürdig und verdienst gutes Geld. Du könntest manche Frau für dich gewinnen, aber du schaust nicht nach Frauen. Für dich gibt es in Wahrheit nur eine, auch wenn du es hundertmal bestreitest. So sehr, wie du sie beschimpfst, so sehr begehrst du sie auch.« Ein Mädchen von Anstand nahm ein Wort wie Begehren nicht in den Mund, aber Sukie war kein Mädchen von Anstand mehr. Es hatte auch sein Gutes, es machte frei, weil man nichts mehr zu erhoffen hatte.
    Durchdringend sah Victor sie an. Die Wärme, die sie an seinen Augen vom ersten Tag an geliebt hatte, war gänzlich daraus verschwunden. Ohne zu sprechen hielt er ihren Blick, bis der Wirt mit der bestellten Flasche kam. Dann wandte er sich ab, riss dem Mann die Flasche aus der Hand und sagte: »Sparen Sie sich das Einschenken und bringen Sie mir die Rechnung. Die Flasche nehme ich mit.« Kaum hatte er bezahlt, stand er auf. Immer wieder aufs Neue überraschte es Sukie, wie groß und wie breit in den Schultern er war. »Also los, gehen wir«, sagte er und war schon auf dem Weg. Durch den lauen Sommerabend stampfte er ihr voraus, ohne sich nach ihr umzudrehen, ohne einen Mietwagen anzuhalten, vielleicht ohne die Welt um ihn überhaupt wahrzunehmen. Er ging nicht ins Verwalterhaus, das ihr Zuhause war, sondern hinüber in die Pension, und Sukie folgte ihm. Im Empfang setzte er sich an einen der kleinen Tische, lud sie nicht ein, sich zu ihm zu setzen, aber protestierte auch nicht, als sie es tat. Das erste Glas, das er sich eingeschenkt hatte, leerte er in einem Zug. Seine Augen waren noch immer kalt, und genauso klang seine Stimme. »Du glaubst also, ich kann keine Frau begehren, ja? Nur Mildred Adams, die mit einer Frau so viel gemein hat wie eine Wölfin mit einem treuen Hund?«
    Seine Kälte machte Sukie Angst, doch tapfer nickte sie.
    Victor leerte noch ein Glas, dann stand er auf und trat um den Tisch herum zu ihr. »Ich werde dir zeigen, dass ich eine Frau begehren kann.« Er packte sie bei den Oberarmen und riss sie zu sich hoch. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihr, dann verschloss er ihr die Lippen mit seinen, und seine Zunge öffnete ihr den Mund.

Kapitel 25
    Southsea bei Portsmouth, 1867
    A m zweiten Tag des neuen Jahres wurden Daphne Rose Weaver, geborene Adams, und ihr Sohn Louis Fergus Weaver auf dem Standesamt in Portsmouth offiziell für tot erklärt. Vier Wochen später schlossen Hyperion Weaver und Mildred Adams die Ehe. Am nächsten Tag verließ der frisch vermählte Ehemann die Stadt, um in London einen Vortrag über die Verbreitung der Cholera durch Trinkwasser zu halten. Während seiner Abwesenheit überwachte seine Frau eine Erweiterung ihres Wintergartens, in dem Gäste zwischen Palmenkübeln ihren Tee einnehmen sollten, wann immer es zu kühl für den Garten war. Das Hotel war bereits für die gesamte kommende Saison ausgebucht. Die frischgebackene Mrs Weaver zahlte den von der Bank gewährten Kredit auf einmal zurück und sparte damit einen Teil der Zinsen. Zum ersten Mal fand sie sich in einer Lage, in der sie sich um Geld nicht die geringste Sorge machen musste.
    Statt sich ein wenig Luxus zu leisten, trug sie jeden überschüssigen Penny in die neu gegründete Portsea Building Society, in der selbst kleine Sparguthaben erhebliche Gewinne versprachen. Und Mildreds Erspartes, so war sie entschlossen, sollte nicht klein bleiben. Vorübergehend aber wurden ihre Gedanken vom Gelderwerb abgelenkt. Am Morgen des 1. März, dem Tag, an

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