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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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gleichgültig, wenn nur jemand kam und ihr half.
    Der Arzt war noch nicht bei ihr, da bemerkte sie, dass der Kopf des Kindes aus ihr hinausdrängte. Sie kannte das Gefühl von Georgia, es hatte sie erschreckt, doch im nächsten Moment war der glitschige Brocken schon aus ihr ins Leben geglitten. Dieser schien festzustecken, ihr die Knochen zu brechen, und über ihr schwebte Daphnes Gesicht, öffnete sich Daphnes Mund, aus dem ein Schrei waberte: »Gib mir meinen Mann und mein Kind zurück!«
    Ihr eigener Schrei geriet zum Kreischen, spitz vor Todesangst. Sie krallte sich in die Laken, rang nach Luft und versuchte noch einmal um Hilfe zu rufen. Die Tür wurde aufgerissen, und eine dunkel gekleidete Gestalt erschien. »Mrs Weaver? Hören Sie mich? Ich bin Will Ackroyd, ein Kollege Ihres Mannes. Wie ich sehe, haben Sie es auch ohne mich geschafft.«
    Er legte ihr die Hände auf die Schenkel und bog sie auseinander, dann griff er zwischen ihre Beine und zog etwas heraus, das wie ein toter goldener Hund aussah. An den Beinen hob er die Hundeleiche hoch und schlug sie, woraufhin sie rot anlief und in Gebrüll ausbrach. Erst jetzt bemerkte Mildred, dass der lodernde Schmerz zwischen ihren Beinen sich beruhigt hatte und dass die Beine zitterten, weil die Anspannung nachließ. Ihr Kopf sank zurück, und sie holte Atem. Was der Arzt jetzt hinüber zum Waschtisch trug, war kein toter Hund. Es war ihr Sohn, der am Leben und gesund war, nicht straßenköterblond wie sie selbst, sondern golden wie ihr Liebster. Wie Louis. Er hörte zu brüllen auf.
    Die Illusion hielt einige selige Augenblicke lang, und sie war so süß, dass Mildred sich nicht einmal an Priscilla störte, die hereinkam, um ihren Jungen zu waschen und anzukleiden. Im Gegenteil. Im Triumph hätte sie dem Hausmädchen zurufen mögen: Ist er nicht herrlich? Ist er nicht ebenso schön oder schöner als der, den wir verloren haben? Der Erbe von Mount Othrys – dass sie sich je eine Tochter gewünscht hatte, war unvorstellbar. Beinahe bedauerte sie, dass sie Priscillas Gesicht mit dem unirdischen Lächeln nicht sehen konnte. Aber das Lächeln ihres Mannes, der gleich nach Hause kommen musste, würde sie dafür entschädigen.
    Für die Bilder und die Stimmen wie aus Alpträumen. Nichts davon würde sie wieder erleben. Sie schloss die Augen und gab sich einzig den schönen Bildern hin, dem Gefühl, einen Kampf gewonnen zu haben, der ihr Leben lang gedauert hatte.
    Und dann war es vorbei. Die Tür ging auf, und Hyperion erschien, der Arzt nahm Priscilla den in weiße Spitze gekleideten Sohn ab, um ihn Mildred zu bringen, und Priscilla wandte sich der Tür zu. »Guten Abend, Sir«, sagte sie so spitz, wie sowohl sie als auch Sarah jetzt immer mit Hyperion sprachen. »Meinen Glückwunsch. Ihnen ist eine dritte Tochter geboren.«
    Nein, keine dritte Tochter! Ein Sohn, ein Sohn!
    Aber Mildred wäre nicht Mildred gewesen, wenn sie nicht im selben Atemzug begriffen hätte, dass sie versagt hatte. Ihr Traum war zerplatzt. Der Arzt trat dümmlich lächelnd auf Hyperion zu und zeigte ihm das Kind. Der warf kaum einen Blick darauf. »Guten Abend«, sagte er von der Tür her. »Ist denn alles gut verlaufen?«
    »Bestens«, erwiderte Ackroyd strahlend. »Ihre Frau ist wirklich zu bewundern.«
    »Ja, ja«, murmelte Hyperion und hob mühsam den Kopf. »Geht es dir gut, Mildred? Hast du alles, was du brauchst?«
    Nein, wollte sie schreien. Ich brauche dich, und ich hätte einen Sohn gebraucht, um dich zu bekommen. Auf einmal spürte sie, dass ihr Tränen über das Gesicht rannen und dass sie unmöglich sprechen konnte.
    Hyperion zuckte mit den Schultern. »Wenn du einen Wunsch hast«, begann er, brach aber ab und ließ in der Luft hängen, was er hätte tun wollen, wenn Mildred einen Wunsch gehabt hätte.
    Sie wollte, dass alle gingen, dass sie sie allein ließen, damit sie schreien und auf die Kissen einschlagen konnte. War das die Strafe, die Gott ihr sandte, hatte er ihr ihren Sohn genommen und durch ein weiteres unnützes Mädchen ersetzt? Aber wofür hatte sie Strafe verdient? Ich habe Daphne nichts angetan. Ich habe sie geliebt, auch noch, als sie mich betrogen und mir Hyperion weggenommen hatte. Wenn mir eine Strafe gebührt, dann habe ich sie längst bekommen. Ich habe Daphne verloren.
    »Wie soll die Kleine denn heißen?«, fragte Ackroyd noch immer so beschwingt, als stünde in dem engen Zimmer alles zum Besten und sogleich werde Champagner serviert.
    Den Namen Georgia hatte

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