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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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sie sich.
    Wilson blickte von seiner Schreibarbeit auf. »Haben Sie Wünsche, den künftigen Gemahl betreffend? Soll es beispielsweise ein Herr rein englischer Abkunft sein oder wäre auch ein schottischer oder irischer Einschlag genehm?«
    »Ich will nicht, Milly!« Daphne sprang auf.
    Das fehlte ihr noch, dass jetzt Daphne alles verdarb. »Gib doch Ruhe, überlass es mir!«
    »Ihre Schwester ist wohl ein wenig verstört«, bemerkte Wilson. »Wem wäre das zu verdenken? Aber sobald die Dinge einmal geordnet sind, gewöhnt man sich schnell. Wenn wir nun also wieder auf meine Frage zurückkommen könnten …«
    »Keine Iren«, warf Mildred hastig ein. In Whitechapel wimmelte es von Iren, die soffen wie Sickergruben. »Sonst ist alles recht. Nur eine Kleinigkeit wäre da noch.«
    »Ich darf bitten?«
    »Ich muss wissen, was es uns kostet.« Sie fühlte Glut in den Wangen. »Ihre Agentur erhebt doch sicher eine Art Gebühr?«
    »Wie aufmerksam, mich daran zu erinnern«, sagte Wilson. »Nicht auszudenken, wenn ich es ob der charmanten Unterhaltung vergessen hätte. Am Ende hätte ich nichts für Sie tun können, weil die Gebühr nicht entrichtet wurde. Lassen Sie uns das aus der Welt schaffen, es handelt sich in der Tat nur um einen geringen Betrag für den Arbeitsaufwand. Alle anderen Kosten – für die Überfahrt wie für Ihre Versorgung in Melbourne – trägt Ihr Bräutigam.«
    »Und was ist mit Quartier und Verpflegung? Wir werden ja wohl kaum noch heute in dieses Southampton verbracht.«
    »Natürlich nicht, meine Liebe.« Wilson berührte ihren Arm. »Unsere Bräute werden bis zur Abreise in Privatzimmern untergebracht und dort auch verpflegt. Einen entsprechenden Wertschein stelle ich Ihnen aus, sobald ich die Gebühr erhalten habe, und anschließend begeben Sie sich am besten sogleich in Ihr Quartier. Ihre Schwester sieht müde aus.«
    »Wie viel?« Mildreds Stimme krächzte.
    »Wie gesagt, nur ein geringer Betrag. Drei Guineen pro Kopf.«
    Mildred stockte der Atem. Ohne dass sie es wollte, kroch ihre Hand in die Rocktasche und förderte die Münzen zutage – all die verklebten, abgegriffenen Münzen, die in ihrem Versteck auf diesen Tag gewartet hatten und jetzt nutzlos waren. Zweimal drei Guineen, das waren weit über hundert Schillinge, und die Pennys und Farthings auf Mildreds Handfläche ergaben zusammen vielleicht sechs oder sieben. Nicht einmal ein Zehntel des Preises.
    »Oje«, hörte sie Wilson seufzen. »Das ist alles, was Sie haben?«
    Sie hielt ihm die Hand noch immer entgegen. Er zog wieder das Taschentuch hervor und sammelte Geldstücke hinein, wobei er stimmlos zählte. »Es ist nicht genug«, flüsterte Mildred, als bestünde daran der geringste Zweifel.
    »Schwierig«, bestätigte Wilson, der den letzten Farthing ins Tuch geworfen hatte. »Im Grunde dürfte ich in Ihrem Fall nicht tätig werden, so schreibt es die Geschäftsordnung vor.«
    Mildred zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. Ich flehe dich an. Ich tue alles, was du willst, nur schick uns nicht weg. Sie wusste, dass sie nicht schön war. Ihr Haar war störrisch, sie hatte den dunklen Teint des Vaters geerbt, und ihren Zügen haftete nichts Liebliches an. Schön war Daphne mit ihren hellen Locken und den Sternenaugen. Nach Daphne drehten sich die Männer lächelnd um, und doch war es Mildred, die, wenn sie wollte, ihre Blicke fesselte. Sie sandte dem Fremden etwas, das sie nicht zu benennen wusste, und betete, dass es seine Wirkung tat.
    »Sie sind mir nicht gleichgültig, wissen Sie?«, stotterte Wilson, und Mildred atmete auf. »Ihr Befinden liegt mir am Herzen, deshalb mache ich eine Ausnahme. Sie können die Summe anzahlen.«
    Es hatte wieder zu regnen begonnen, in Mildreds Nacken schlugen Tropfen, doch im Inneren breitete sich Wärme aus. Dem Himmel sei Dank! Die Frage, wie sie die Summe auftreiben sollte, würde sie später beantworten. Sie drehte sich nach Daphne um, die erbärmlich zitterte. Aufmunternd lächelte sie ihr zu. Gleich würde Wilson irgendein Papier ausstellen und ihnen den Weg zum Quartier weisen, wo ihr Sperling sich aufwärmen konnte. Gewiss bekämen sie dort Tee. Auch Suppe. Bei dem Gedanken begann Mildreds Magen von neuem zu knurren.
    Keinen Herzschlag später ertönte ein Schrei. Ein Riese von Mann stürmte von der Hauptstraße auf sie zu und sprang mit dem Satz eines Raubtiers vor sie hin. Alles, was Mildred erkannte, war der weiße Filzhut eines Navvy, doch der genügte ihr. Sie setzte zurück und riss

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