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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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verspreche, ich tue nie wieder etwas, das Sie nicht wollen. Ich will Sie nur kennenlernen. Mit Ihnen sprechen. Ihnen so lange einreden, dass ich mich bessern könnte, bis Sie es mir glauben.«
    »Glauben Sie es?«, entfuhr es Lydia.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, und seine Ehrlichkeit zerbrach ihren Widerstand. »Aber ich will es um jeden Preis glauben.«
    Sie tat es. Holte aus und schlug ihm so hart, wie sie konnte, auf die Wange. Sie hatte nie zuvor einen Menschen geschlagen. Als sie die Hand hinuntersacken ließ, sah er sie immer noch an. Auf seiner Haut zeichneten sich rot die Spuren ihrer Finger ab, und auf seine Stirn trat ein Rinnsal Schweiß. Er hielt sich an sein Versprechen. Schob die Hände auf den Rücken und rührte sie nicht an. Nur sein Mundwinkel zuckte, ein verlegenes Zugeständnis an den Schmerz. »Morgen?«, fragte er rau.
    Sie schüttelte den Kopf. Gegen ein Zittern kämpfend, zog sie den Handschuh aus, legte einen Finger in seinen Mundwinkel und spürte die Regung unter der Haut.

Kapitel 34
    Herbst
    M ildred saß unter dem größten der Zwetschgenbäume und zählte Geld. Schon lange versetzte es sie nicht mehr in Erregung, die Einnahmen der Saison zusammenzurechnen und in die Spalten des Bilanzbuchs einzutragen, aber beruhigend wirkte es noch immer auf sie. Sie hatte vieles erreicht. Wäre der Erpresser nicht gewesen, hätte sie ihr Hotel erweitern können wie das Victoriana, dessen eindrucksvolle Riesenfront sich wie ein Wahrzeichen des Badeorts Southsea ausnahm. Der Mensch war ein seltsames Tier – er gewöhnte sich selbst ans Ungeheuerlichste. Was den Erpresser betraf, der sie fast um den Verstand gebracht hatte, dachte Mildred inzwischen wie andere über ihre Gemeindesteuer. Sie legte stets eine Summe zurück, um nicht von Forderungen überrascht zu werden, aber schlaflose Nächte bereiteten die Briefe ihr schon lange nicht mehr.
    Natürlich gab es Momente, in denen sie zornbebend auf das imposante Victoriana blickte und auf die Unsummen fluchte, die die Ternans einnahmen, weil Mount Othrys ihnen keine Konkurrenz machen konnte. An den meisten Tagen aber betrachtete sie mit Stolz, was sie besaß. Ihr Mount Othrys war das kleinste unter den Grandhotels und würde es bleiben, aber es war zugleich das exklusivste, das die Gäste für seinen einzigartigen Stil, seine Gediegenheit und seine Tradition lobten. »Das Victoriana ist komfortabel und gesellig«, hatte ein Reporter der Londoner Times geschrieben. »Aber Mount Othrys verzaubert und öffnet ein Tor in eine andere Welt.«
    Das war es, was Mildred für ihre Gäste gewollt hatte, und das war es, was sie ihnen bot. Darüber hinaus hatte sie allen Grund, stolz auf ihre Familie zu sein. Ihre Töchter – bis auf die jüngste, die noch nicht alt genug war – waren in die Gesellschaft eingeführt. Heute Abend waren sie sogar zum Herbstball in die Admiralität geladen, und damit stand ihnen ein glanzvoller Winter bevor. Nur ungern gestand Mildred ein, dass sie dies vor allem Esther zu verdanken hatten. Das Mädchen, das aussah wie ein Engel, aber den Starrkopf eines Teufels besaß, hatte sich standhaft geweigert, ihre Weaver-Verwandten zu besuchen, wenn die Schwestern nicht eingeladen wurden. Bernice und Hector hatten zweifellos Gift und Galle gespuckt, aber letzten Endes hatten sie nachgegeben: Weil ihre Kinder auf Esther nicht verzichten wollten, wurde schließlich das ganze Quartett geduldet, und bald darauf standen den Schwestern auch die übrigen Häuser offen.
    Von Hectors Kindern hielt Mildred nicht mehr als von Ratten und Steuereintreibern. Nora litt an irgendeiner scheußlichen Form von Hysterie, und Horatio war der berüchtigtste Wüstling der Stadt. In diesem Punkt aber konnte sie den beiden nur applaudieren – sich gegen die Verbohrtheit ihrer Eltern durchzusetzen war keine Kleinigkeit, und so wenig liebenswert Horatio und Nora waren, bestand zwischen ihnen und ihren Basen ein eigentümlicher Zusammenhalt.
    Wer Mildreds Töchter sah, wäre nie und nimmer darauf gekommen, dass in ihrem Elternhaus Geld nicht im Überfluss vorhanden war. Für ihre Phoebe war Mildred kein Schneider, kein Putzmacher und kein Juwelier zu teuer, und da die anderen nun einmal Phoebes Schwestern waren, mussten auch sie wie Prinzessinnen ausgestattet sein. Vom Klavierspiel bis zu Tennis und französischer Konversation wurden die vier Mädchen in allem ausgebildet, was eine junge Dame von Stand zu beherrschen hatte, und für ihre Tanzlehrer gab Mildred ein

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