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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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»Ich habe immer gedacht, du seist der einzige Mensch, der keine hätte. Wie sollen eigentlich Männer wie Horatio lernen, anders zu denken, wenn Frauen wie du sie als Kanaillen abtun und sich weigern, mit ihnen zu sprechen? Übrigens, Horatio liebt Nora. Er konsultiert einen Arzt nach dem anderen, er hat sich ihretwegen sogar mit seinem Vater angelegt.«
    »Wie mutig«, bemerkte Lydia höhnisch. »Inzwischen wird ihm sein Vater ja wohl kaum mehr den Hosenboden dafür strammziehen.«
    Esther wandte sich ab. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so gemein sein kannst«, sagte sie.
    »Esther!« Lydia legte den Arm um sie. Sie stellte es nicht zum ersten Mal fest: Das Mädchen war zu gut für diese Welt, sie vermochte einfach nicht in einem Menschen das Schlechte zu sehen. »Lass uns bitte nicht um diesen Kerl streiten, ja?«
    »Dieser Kerl ist mein Cousin«, erwiderte Esther. »Ja, er geht hässlich mit Frauen um, er nimmt sie und wirft sie weg, und deswegen habe ich ihm mehr als einmal den Kopf zurechtgesetzt. Aber das ist nicht der ganze Horatio. Weißt du, wie klug er ist? Wie seine Professoren von ihm schwärmen?«
    »Ich bin zwar kein Professor, sondern nur eine mickrige Lehrerin, aber ich schwärme lieber von dir. Was Klugheit betrifft, so kannst du es mit diesem Prahlhans zehnmal aufnehmen.«
    »Horatio prahlt nicht«, entgegnete Esther. »Über seine Arbeit spricht er kein Wort, und an Klugheit nimmt es niemand mit ihm auf.«
    »Es gibt auch eine Klugheit des Herzens«, sagte Lydia. »Menschen, die wirklich klug sind, wollen anderen nicht weh tun.«
    Endlich wandte Esther sich ihr wieder zu. »Und wer sagt dir, dass Horatio jemandem weh tun will? Vielleicht braucht er ja all die Frauen, die ihn vergöttern, weil sein Vater ihn immer nur verachtet hat. Im Übrigen sah er nicht aus, als wollte er dir weh tun, Lydia.«
    »Mir?« Ihr Lachen geriet nicht echt. »Dazu wird der werte Herr keine Gelegenheit erhalten. Ich gehöre nämlich nicht zu den Scharen, die ihn vergöttern, sondern schließe mich in dem Fall der Meinung seines Vaters an.«
    Unverwandt sah Esther sie an. »Weißt du, was ich glaube?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Ich glaube, du lügst«, sagte Esther. »Ich bin keine Romanleserin, ich verstehe von alldem nichts, aber es war etwas Besonderes zwischen dir und Horatio, und es war so schön, dass nicht mal Georgia einen Witz gerissen hat. Du möchtest es klein und schmutzig reden, doch das gelingt dir nicht. Du bist keine mickrige Lehrerin, und Horatio ist keine Kanaille, und das, was mit euch geschehen ist, ist weder schmutzig noch klein. Horatio, und wenn er noch so viele Frauen verführt, hat Angst, dass Menschen ihn berühren. Ich habe noch nie gesehen, dass er sich wünschte berührt zu werden wie von dir.«
    Lydia schwieg. Gern hätte sie Esther gesagt, dass sie Unsinn schwatzte, aber ihre Kehle weigerte sich. Eine seltsame Traurigkeit befiel sie. Sie wollte fort aus dieser künstlichen, kalten Welt, zu ihrer Mutter, zu Dünnbier und Schwarzbrot. »Sei mir nicht böse«, sagte sie zu Esther und stand auf. »Ich will nach Hause. Nein, mach kein Aufhebens, lass mich einfach gehen, ich bitte dich.«
    Esther war anzusehen, dass sie mit sich kämpfte, doch am Ende gab sie sich geschlagen. Es gelang Lydia, von einem der Hausmädchen ihren Mantel zu ergattern und sich unbemerkt aus dem Haus zu schleichen. Auf dem Gartenweg begann sie zu laufen, eilte durchs Tor und die Straße hinunter und blieb hinter der Häuserecke stehen. Sie war eine gute Läuferin, doch jetzt war sie von den paar Schritten außer Atem und musste sich an der Mauer abstützen. Über ihr Gesicht rannen Tränen.
    Als sie die Schritte hörte, war es längst zu spät. Sie hob den Kopf, und er stand schon vor ihr. Schwarzes Haar, schwarze Brauen, das weiße Plastron um seinen Kragen gelöst. Nicht seine Schönheit berührte sie, sondern das Verlorene, Bittende in seinem Gesicht, das zu der blasierten Schönheit nicht passte.
    Er sagte nichts, hielt ihr nur etwas entgegen. Einen Damenhandschuh, der zwischen seinen Fingerspitzen baumelte.
    »Was soll das?«
    »Damit Sie sich die Finger nicht schmutzig machen müssen«, antwortete er und streifte ihr den Handschuh über. »Ich habe Sie belauscht, Miss Burleigh. Ich schäme mich.«
    Ungläubig starrte sie erst auf ihre Hand und dann in sein Gesicht.
    »Bitte«, sagte er, »geben Sie mir eine Ohrfeige oder meinetwegen so viele Sie wollen, und dann erlauben Sie mir, Sie wiederzusehen. Ich

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