Die Mondrose
Vermögen aus. All die Jahre hindurch hatte sie sich einen Traum bewahrt, der sie gestützt hatte, wenn ihr die Kräfte schwanden und Verzweiflung die Oberhand gewinnen wollte: Aus dieser verfluchten Familie soll einmal eine – meine Phoebe – glücklich sein.
So vielversprechend, wie die neue Saison begann, mochte die Erfüllung ihres Traums nahe sein. Mit ihren fünfzehn Jahren war Phoebe noch jung, aber einer Verlobung mit einem geeigneten Herrn hätte nichts im Weg gestanden. In ihren kühnsten Phantasien malte Mildred sich einen Mann von Adel aus, der um Phoebes Hand anhalten würde, und sah die Gesichter der anderen Mütter vor Neid und Missgunst erblassen.
Und warum auch nicht? Adlige Militärangehörige gab es in Portsmouth zuhauf, und sie alle brachten zur Saison ihre Familien herüber. Phoebe mochte nicht sonderlich hübsch sein, aber das war schließlich nicht alles, worauf ein Mann, der die Mutter seiner Kinder suchte, Wert legte. Phoebe war tugendhaft, folgsam und hervorragend erzogen. Wer wollte eine Schönheit wie Esther, wenn diese für die Führung eines Haushalts kein Interesse zeigte und sich die teuersten Kleider wie Lumpen überwarf? Zudem würde Phoebe eine ordentliche Mitgift bekommen. Mit eiserner Sparsamkeit hatte Mildred im Lauf der Jahre das Konto für die Mädchen wieder aufgefüllt. Esther legte auf eine Heirat keinen Wert, und die arme Georgia würde wohl kaum einem Mann einen zweiten Blick entlocken. Somit fiele den beiden übrigen Schwestern das Doppelte zu.
Bei dem Gedanken wandte Mildred den Kopf. Am Fenster der Schlafkammer sah sie das Gesicht ihrer Jüngsten, die zum Ball nicht mitkommen würde. Sie solle französische Vokabeln lernen und zeitig zu Bett gehen, hatte Mildred angeordnet, und das Mädchen hatte sich nicht widersetzt. Es widersetzte sich nie. Dieses Kind, von dem Mildred bis heute wünschte, ihm wäre sein Leben erspart geblieben, tat zumindest, was man ihm sagte, wenn es auch bei allem linkisch und unzulänglich blieb. Dass das arme Ding in zwei Jahren ebenfalls in Ballsälen tanzen würde, vermochte Mildred sich nicht vorzustellen, geschweige denn, dass jemand um ihre Hand anhielt. Vom Augenblick ihrer Geburt an hatte sie gedacht: Ich bin schuld daran, dass du existierst, und zur Strafe bin ich bis an mein Lebensende geschlagen mit dir. Sie dachte noch immer nicht anders. Ihre Jüngste, Chastity, würde im Elternhaus bleiben und ihren Schutz benötigen, und Mildred würde ihr den Schutz, den sie ihr schuldig war, geben. Für Phoebe aber stünde eine Mitgift zur Verfügung, mit der sich ein Traum verwirklichen ließ.
Sie schlug das Bilanzbuch zu und stand auf. Die Sonne begann schon zu sinken, und sie musste sich an ihre Toilette machen, wenn sie rechtzeitig fertig werden wollte. Daran, dass Hyperion im letzten Augenblick kommen und keine Zeit haben würde, sich das Haar zu richten, hatte sie sich gewöhnt wie an den Erpresser. Das Leben war kein Paradies, von dem Ellie, die Schönheit der Allee, ihre Liedchen trällerte. Es war ein zäher Brocken, der gekaut werden musste, und von Glück konnte sagen, wer wie Mildred ein treffliches Gebiss besaß.
Als sie ihr Haus betrat, kam ihr Phoebe entgegen. Sie trug ein Brokatkleid in einem Fliederton, der ihre sanfte Mädchenhaftigkeit betonte, und mit ihrer Frisur hatte Priscilla sich besondere Mühe gegeben. »O Mutter«, murmelte Phoebe und senkte hastig den Blick. Zu Mildreds Leidwesen war sie beinahe so schüchtern wie Chastity.
Zum Teufel, sei stolz auf dich, hätte Mildred sie anherrschen mögen. Wer soll eine strahlende Rose in dir sehen, wenn du selbst dich für ein Mauerblümchen hältst? Stattdessen lächelte sie. »Schon fertig, Liebchen? Du siehst wunderhübsch aus.«
»Ach nein«, entgegnete Phoebe. »Du solltest Esther sehen, sie sieht aus wie Cinderella mit den gläsernen Schuhen.«
Wieder einmal fühlte Mildred sich vom Zorn auf Esther gepackt, von dem sie wusste, wie ungerecht er war. Dass der Vergleich so treffend war, machte nichts besser. Ja, Esther war Cinderella, die Stieftochter, etwas anderes in ihr zu sehen war Mildred nie gelungen. »Mädchen wie Esther gefallen Männern nicht«, wies sie ihre Tochter zurecht.
»Wenn ich ein Mann wäre, mir würde Esther gefallen«, erwiderte Phoebe einfältig.
»Du bist aber kein Mann!«, keifte Mildred und bereute den scharfen Ton sofort, als sie sah, wie Phoebes Augen sich mit Tränen füllten. »Du musst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen,
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