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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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sei mir nicht böse, Esther. Ich muss gehen. Horatio besteht darauf, mit mir in irgendeiner albernen Klitsche zu feiern, auch wenn er weiß, dass ich auf meinen Geburtstag keinen Wert lege.«
    »Für ihn ist der Tag, an dem du in die Welt gekommen bist, eben ein Feiertag.«
    Einen Herzschlag lang wurden Lydias Züge weich. »Horatio mag den König der Technokraten mimen, aber er ist hoffnungslos sentimental.«
    »Er liebt dich.«
    Lydia zog an ihrer Zigarette. »Ich mag darüber nicht reden, Esther.«
    »Und warum nicht?«, fragte Esther, obwohl sie den Grund nur allzu gut kannte. Weil du in deiner verrückten, turbulenten Ehe glücklich bist, und weil du weißt, dass es in meiner Ehe solches Glück nicht gibt. Weil du dich schämst und glaubst, was du hast, hätte jede Frau mehr verdient als du. Aber so zu denken ist Unsinn, und du könntest dein Glück zerstören, wenn du es dir und deinem Mann nicht endlich gönnst.
    Lydia zuckte mit den Schultern. »Lassen wir das. Du wolltest mit mir über Chastity reden.«
    »Und du wolltest gehen, weil dein Mann auf dich wartet.«
    »Ich bin sowieso schon zu spät, auf die paar Augenblicke kommt es nicht an. Also erzähl, was willst du unternehmen, um Chastity zu finden?«
    »Das weiß ich eben nicht«, erwiderte Esther. »Ich habe versucht, mich mit Mildred zu beraten, sie zu fragen, ob sie eine Ahnung hat, warum Chastity auf einmal fort wollte. Aber mit Mildred ist darüber kein Reden, sie lässt mich abprallen wie eine Wand. Man könnte meinen, sie sei froh, ihr Kind los zu sein.«
    »Chastity ist kein Kind mehr«, fiel Lydia ihr scharf ins Wort. »Außerdem – bist du der Meinung, eine Frau hat kein Recht darauf, sich zu wünschen, dass sie ein Kind wieder loswird?«
    Esther kannte den Ton und auch die jähe Härte in Lydias Blick. Beide hatten nichts mit ihr, mit Mildred und Chastity zu tun, sondern mit dem Kampf, den Lydia führte, mit einem der zahllosen Fälle, die sie keinen Moment lang vergessen konnte. Wäre Lydia nicht ihre liebste Freundin gewesen, hätte Esther vermutlich geschwiegen. So aber sprach sie. »Weißt du, dass ich manchmal Angst um dich habe? Du bist nicht mehr in der Lage, deine Arbeit loszulassen. Mein Vater ist so. Und wie die Ehe, die er führt, aussieht, weißt du.«
    »Worauf läuft das hinaus?«, fuhr Lydia sie an. »Sprechen wir hier über meine Ehe oder was?«
    »Nein«, sagte Esther. »Aber wir sprechen auch nicht über eine Frau, die wegen Abtreibung vor Gericht steht, sondern über Mildred, die es nicht schert, dass ihre Tochter seit einem halben Jahr verschwunden ist.«
    Lydias Blick wurde bohrend. Ihre Fingerspitzen klopften auf die Tischplatte. »Gib mir noch einen Drink«, sagte sie und griff schon nach der Karaffe, in der Esther aus Gin und Gurken ihr Lieblingsgetränk hatte mixen lassen, wenn es auch nie so stark und wohltuend geriet wie bei Horatio. »Dir ist das zuwider, nicht wahr?«
    »Was ist mir zuwider?«
    »Über meine Frauen zu sprechen, die wegen Abtreibung vor Gericht stehen. Über all die widernatürlichen Frauen, die von ihrem Leben noch anderes wollen, als sich mit allem Sehnen und Flehen ein Kind zu wünschen.«
    Esther musste schlucken, so hart war es, die Worte zu verdauen. Niemand wusste besser als Lydia, dass sie selbst zu den Frauen gehörte, die sich mit allem Sehnen und Flehen ein Kind wünschten. Was hätte sie sich sonst wünschen sollen als ein Geschöpf, das ihrem leeren Dasein Sinn gab? »Falls du mich verletzen wolltest, ist es dir gelungen«, bemerkte sie.
    Lydia warf die Zigarette, die sie sich hatte anzünden wollen, weg, sprang zu ihr und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Um Himmels willen, Liebes, bitte sei mir nicht böse! Ich wünsche dir so sehr, dass du endlich dein Kind bekommst, und ich weiß, ich bin ein unausstehliches Ekel, aber das ist nur, weil ich unentwegt an Kate denken muss. Sie hat sich umgebracht, Esther! Sie haben das Gnadengesuch unseres Anwalts abgelehnt, und gestern Nacht hat sie sich in der Zelle erhängt.« Lydias Stimme brach, sie ließ Esther los, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Esther nahm ihre Hand. Was sie sagen sollte, wusste sie nicht, auch wenn die Stille quälte. Gleich darauf wurde sie durchbrochen. Irgendwer betätigte ungehörig heftig die Hausglocke. Dass ihr Hausdiener den Kopf zur Tür hereinsteckte und »Ihr Cousin« verkündete, war überflüssig, denn im selben Moment stürmte Horatio an ihm vorbei. Er war wie der Wind vom Solent, fand Esther, er

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