Die Mondrose
machte, dass man in stickiger Luft wieder atmen konnte. Als er sah, was vorging, blieb er in vollem Lauf stehen. »Ach, mein Herz«, sagte er leise und traurig. »Also ist es abgelehnt?«
Er ging zu Lydia und zog sie in die Arme. Für kurze Zeit weinte sie, dann bäumte ihr Körper sich auf, und ihre Fäuste trommelten gegen seine Brust. »Sie ist tot, Horatio!«, schrie sie. »Kate ist tot!«
Horatio stand still, bis sie sich verausgabt hatte. Dann schloss er die Arme fester um sie und küsste sie auf den Kopf. »Es tut mir so leid«, sagte er. »Es tut mir um die arme Frau so furchtbar leid.«
»Der Anwalt ist ein Idiot!«, fauchte Lydia.
»Er ist mir als der beste empfohlen worden, der sich für den Fall gewinnen ließ.«
»Ha!«, rief Lydia. »Dann möchte ich im Leben keinen schlechten sehen. Ein Mann, der zu Hause ein unterdrücktes Weib und drei Blagen sitzen hat, was ist von dem zu erwarten? Im Grunde seines Herzens war der doch froh, dass man Kate verurteilt hat, denn schließlich könnten brave Frauen wie seine ja auf dumme Gedanken kommen. Was würde wohl werden, wenn man Frauen als Anwälte zuließe? Glaubt ihr, eine wie ich ließe sich von einem Gericht aus lauter Männern ausbooten?« Horatio hob die Hand, um ihr Tränen vom Gesicht zu streichen, doch sie stieß ihn weg. »Mich müsste man aus dem Gerichtssaal fortschleppen, und dabei würde ich brüllen, dass es euch verdammten Kerlen in den Ohren gellt!«
Es waren Lydias Worte, die gellten, deren Echo das Schweigen füllte. »He«, sagte Horatio leise und hob sacht ihr Kinn. »Ich bin dein Freund – schon vergessen? Ich mag nicht, dass du mich auf die andere Seite stellst.«
Hart schlug sie seine Hand weg. Dann besann sie sich. »Wir waren verabredet«, murmelte sie schuldbewusst.
»Macht nichts«, versicherte Horatio. »Solange Esther für ihren alten Cousin noch irgendwo ein Glas auftreiben kann.«
Erleichtert stand Esther auf, um dem Mädchen Bescheid zu geben. Sie brauchten alle einen Drink. Sie würde um Champagner bitten und um Cracker, Käse und geviertelte Trockenbirnen, damit der Alkohol keine Wellen schlug. Als sie zurück in den Wintergarten kam, fand sie Horatio und Lydia in einer Weise beieinander, wie sie es von keinem Paar kannte. Sie küssten sich nicht und taten auch sonst nichts, das einen Dritten in Verlegenheit brachte, und doch teilten sie einen Raum, zu dem niemand sonst Zugang fand. Lydias Hand lag auf Horatios Hüfte, und Horatios Lippen ruhten auf Lydias Haar. Sie schwiegen.
Sie zu stören tat Esther weh, weshalb sie den Teewagen so leise wie möglich an ihnen vorbeilenkte. Horatio bemerkte sie dennoch und lächelte ihr über Lydias Kopf hinweg zu. Er sah abgekämpft aus. Lydia musste auf der Hut sein. Dass er ihr erlaubte, nach ihm zu treten, ehe die Woge des Zorns ihr die Brust sprengte, mochte angehen, aber allzu oft traf sie dabei sein Herz.
»Dürfen wir trotzdem auf dich anstoßen?«, fragte er in Lydias Haar. »Auf die beste Anwältin, die Frauen in Not sich wünschen könnten.«
»Dass ich nicht lache!« Sie ließ ihn los. »Was bin ich denn wirklich? Ein verwöhntes Luxusweibchen, das den Mund aufreißt und nichts erreicht.«
»Das ist doch nicht wahr, Lydia. Musst du so hart zu dir sein?«
»Hör auf zu schwatzen und schenk mir Champagner ein«, sagte Lydia mit funkelndem Blick. »Also los, trinken wir auf Lydia Alexandrina Burleigh, deren selbstloser Einsatz für die Rechte der Frau gestern Nacht ein weiteres Todesopfer zu beklagen hatte.«
Horatio nahm Esther die Flasche ab und schenkte Champagner in drei hohe Kelche. »Auf Lydia, die auch nur ein Mensch ist«, sagte er voll zärtlichem Bedauern. »Wenngleich der wundervollste auf diesem wie auf sämtlichen anderen Planeten.«
»Und wer entscheidet das? Du?«
Horatio nickte. »Ja, ich. Dass Männer arrogant sind und sich für allwissend halten, ist dir doch nichts Neues.«
Einen Augenblick lang konnte Lydia nicht anders, als zu lächeln. Sie nahm ihm das Glas ab und gab ihm einen Nasenstüber. In ihren Augen glitzerten noch immer Tränen.
»Auf dein neues Lebensjahr, Lydia«, sagte Esther. »Auf dass ihm noch viele folgen und dass uns nichts trennt.«
Die drei Gläser klirrten aneinander. »Tut mir leid wegen Chastity«, murmelte Lydia. »Ich fürchte, mit mir war heute einfach kein Reden.«
Horatio horchte auf. »Was ist mit Chastity? Hat sie sich gemeldet?«
Esther seufzte. »Nein, eben nicht. Chastity, die wie eine Klette an uns klebte,
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