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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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keinen, wenn eine mehr davon ins Gras beißt. Aber wenn eine respektable Frau sich dabei erwischen ließe, die Gattin des bewunderten Physikers Horatio Weaver, die der kostbaren Frucht edler Lenden den Garaus macht – womöglich würden sie dann begreifen, dass keine Frau der Welt eine Maschine zum Gebären ist!«
    Horatios Körper hielt stockstill, der Rücken gerade, die Schultern gespannt. Nur ein Muskel in seiner Wange zuckte. Esther wünschte, sie hätte ihn berühren und es ihm erklären dürfen. Sie meint nicht dich. Sie schlägt um sich, weil sie vor Schmerz nicht anders kann. Sie wünschte, Lydia hätte es ihm erklärt, doch sie standen alle still da und schwiegen, bis Horatio seinen Hut vom Tisch nahm. »Ich gehe jetzt besser«, sagte er. »Gute Nacht, Esther. Chastitys wegen rate ich dir, mit deinem Vater zu sprechen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass mein Vater mit ihrem Verschwinden zu tun hat, und wenn dem so ist, könnte dein Vater etwas davon wissen.« Er setzte den Hut nicht auf und nickte seiner Frau nur zu. »Gute Nacht, Lydia.« Dann ging er.
    Die beiden Frauen schwiegen lange weiter. Dann trank Lydia ihr Glas leer und griff nach ihren Zigaretten. »Nun sag’s mir schon«, forderte sie Esther auf. »Du findest, ich bin eine widerliche Xanthippe, die ihren reizenden Mann schlecht behandelt, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Esther. »Ich finde, ihr seid einer so reizend wie der andere und zusammen so reizend, als hättet ihr die Liebe erfunden.«
    Lydia steckte die Zigarette an, musste weinen, musste lachen und verschluckte sich am Rauch. »Horatio hat einmal gesagt: Wenn wir beide eine schlechte Idee sind, dann hat das Leben nie eine gute gehabt.«
    »Horatio ist ziemlich klug, weißt du das?«
    »Ja.«
    »O Lydia, musst du ihn denn unbedingt für das bestrafen, was andere Männer seit Jahrhunderten anderen Frauen tun?«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Aber ich verstehe, dass ihr beide leidet und dass keiner von euch es verdient. Was soll Horatio denn machen – was willst du von ihm?«
    »Dass er mich erträgt«, antwortete Lydia. »Hör auf, ihn vor mir zu beschützen, Esther. Wenn er das nötig hat, ist unsere Ehe nichts wert.«
    »Aber kein Mensch ist aus Stahl«, konterte Esther. »Du hast ihm einen abscheulichen Hieb versetzt, Lydia, du hast gesagt, er soll dir ein Kind machen, damit du es zu politischen Zwecken abtreiben kannst. Muss er das wegstecken, ohne mit der Wimper zu zucken?«
    »Was willst du? Soll ich mich entschuldigen?«
    »Nein, nur ihm nachgehen und ihm sagen, dass er nicht alles falsch macht. Herrgott, Lydia, du liebst ihn doch!«
    »Ja, ich liebe ihn. Er ist ein fabelhafter Kerl und das Beste, was mir im Leben passiert ist. Vielleicht ertrüge ich mich ohne ihn selbst nicht mehr.«
    »Sagst du ihm das manchmal?«
    »Nein. Davor habe ich Angst, und dir muss ich wie die undankbarste Frau der Welt vorkommen. Es tut mir leid, Liebes. Ich gehe nach Hause und heule mich aus.«
    »Heul dich bei deinem Mann aus«, sagte Esther, begleitete sie durch das große Haus, in dem nur die Dienstboten schweigend umherstrichen, und sah ihr nach, bis sie verschwunden war. Ganz unrecht hatte Lydia nicht. In einem Winkel ihres Herzens fand sie die Freundin ein wenig undankbar, vor allem, wenn sie Stunde um Stunde sinnlos verstreichen sah und die Wände atmen hörte. Bis ins Letzte verstand sie tatsächlich nicht, warum Lydia ein Kind von dem Mann, den sie liebte, hätte loswerden wollen, während sie sich verzweifelt eines wünschte, obwohl ihr Mann ihr gleichgültig war. Aber vermutlich war sie schlicht zu dünnhäutig, wann immer ein Gespräch auf dieses Thema kam.
    Der Wunsch nach einem Kind war bei ihr zur Besessenheit geworden, seit sie begriffen hatte, dass von ihrem Traum nichts übrig war. Sie würde nie Ärztin sein. Sie würde nie darum ringen, Leben zu retten. Alles, was ihr blieb, um die endlosen Tage zu füllen, war die Hoffnung auf ein kleines Geschöpf, das einen neuen Anfang bedeutete. Eine neue Chance. Ich habe aus meinem Leben nichts machen können. Aber ich könnte meiner Tochter oder meinem Sohn dabei helfen, es zu tun.
    Andrew war ein rücksichtsvoller Mann, darum bemüht, ihr keinen Schmerz zu bereiten. Als er erkannte, dass sie nicht aufhören konnte, bei der Erfüllung der ehelichen Pflicht zu weinen, sagte er in seiner drucksenden, altmodischen Weise zu ihr: »Es tut mir leid, dass ich dir dabei kein Glück bereiten kann. Ich würde dir deinen Frieden lassen, aber ich

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