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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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kamen, beschuldigten die Einwohner Onkel Victor, der es mit seinen Pensionen möglich machte. Auch hieß es, Onkel Victors Pensionen, die mit den schneeweißen Grandhotels, ihren Portalen, Wintergärten und Dachterrassen keine Ähnlichkeit hatten, verschandelten das Stadtbild. Onkel Victor gab nichts auf die Meinung der Leute. »Sie haben mich nie gemocht, und sie werden mich nie mögen«, sagte er. »Nur für dich hätte ich es gern anders gehabt.«
    Hedwig aber legte nur Wert auf das, was Horatio dachte, und dem waren die Grandhotels einerlei. »Die Welt verändert sich«, sagte er. »Je leichter das Reisen wird, desto mehr Menschen nehmen sich das Recht dazu.«
    Sie senkte den Blick, damit das Gewirr der fremden Gesichter keinen Angstanfall auslöste. Das Mädchen beeilte sich mit der Abfertigung, doch dann erhob sich eine Stimme aus dem Gewirr der übrigen. »Ist das nicht Miss March? Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie kurz begrüße?«
    Das Mädchen hatte Anweisung, Hedwig vor derlei Versuchen abzuschirmen. »Ich bedaure, Sir. Miss March ist für niemanden zu sprechen.«
    Hedwig hätte längst beginnen müssen, sich vor Angst zu krümmen, aber die Stimme gefiel ihr. Etwas Angenehmes, Dunkles lag darin, das Behagen auslöste, und zudem hatte sein Tonfall keinen fremden Akzent.
    »Aber ich sehe Miss March doch dort hinter dem Vorhang sitzen«, sagte der Fremde mit der seltsam vertrauten Stimme. »Können Sie nicht eine Ausnahme machen? Ich halte sie gewiss nicht lange auf.«
    »Das ist wirklich nicht möglich, Sir. Wenn Sie mir jetzt Ihre Zimmernummer nennen wollen …«
    »Oh, ich bin gar kein Gast Ihres Hauses. Ich kam nur vorbei, um Miss March einen Gruß meines Sohnes auszurichten. Wie schade, dass es nicht möglich ist.«
    Hedwig sprang auf und zog den Vorhang zurück. Vor dem Empfangstisch stand ein kleiner, gebeugter Mann, der sein eisengraues Haar dicht an den Kopf gekämmt trug. Es gab keine benennbare Ähnlichkeit, und doch wusste Hedwig, wer der Mann war, noch ehe er seinen Namen nannte.
    »Gestatten Sie?«, fragte er und schob eine Karte über den Tisch. »Mein Name ist Weaver. Vielleicht könnten Sie ja Miss March zumindest meinen Gruß ausrichten?« Dann blickte er auf und strahlte Hedwig an.

    Als Amelias Leib zu schwellen begann, jagte die Wirtin sie beide aus dem Zimmer. Sie unterhalte kein Haus voller Lotterbetten und könne sich einen Skandal nicht leisten. Eine Nacht mussten sie auf dem Bahnhof verbringen, in der Kammer, aus der Charles sich morgens Besen und Kehrschaufel für seine Arbeit holte. Charles war verzweifelt und beschimpfte sich. Nicht einmal ein Dach über dem Kopf könne er seiner Liebsten verschaffen, sondern lasse sie wie eine Bettlerin durch die Straßen ziehen. Amelia tröstete ihn. Es war kalt und feucht in der Besenkammer, aber mit Charles wäre sie überall hingegangen. Er war ihr Zuhause. Wo sie ihn hatte, wusste sie, dass am Ende alles sich fügen und zum Guten wenden würde.
    Ihr Vertrauen gab ihm Kraft und bescherte ihnen Glück. Anderntags ließ sein Dozent ihn wissen, dass er fürs Erste in einem Zimmer im Dachstuhl des Lehrgebäudes unterkommen könne. Es gab weder Bett noch Kamin dort, aber der Dozent überließ es ihnen mietfrei, und nach der Nacht auf dem Bahnhof fühlte sich Amelia in dem vor der Welt versteckten Dach wie im Paradies. Die Menschen hatten ihnen weh getan und sie ausgestoßen, doch beieinander waren sie vor allen Verletzungen geschützt. Aus Decken bauten sie sich ihr Bett. Solange der Sommer währte, war es warm unter dem Dach, und bis der Winter kam, würde sich schon etwas finden. Sie hatten im Leben wenig Glück gehabt, doch seit sie ihre Liebe hatten, wachte über ihnen ein guter Stern.
    Sie vereinbarten ein Zeichen zwischen sich. Den einen Schlüssel, den sie besaßen, behielt Amelia, falls sie tagsüber das Zimmer verlassen wollte. Amelia wollte das Zimmer nie verlassen, aber Charles fand, sie solle nicht wie eine Gefangene leben. Wenn er nach Hause kam, ging er zuerst in den kleinen Vorlesungssaal unter ihren Dielen und klopfte von der obersten Bankreihe dreimal an die Decke. Damit wusste Amelia, dass er auf dem Weg war, und während er die Treppe hinaufeilte, war sie schon außer sich vor Freude.
    Immer wieder sagte er ihr, er wolle sie heiraten, ehe das Kind komme, sie bräuchten nur irgendein Papier, um sich auszuweisen, und müssten seit neuestem auch nichts mehr für die Kirche zahlen. Diesen Wunsch jedoch schlug Amelia ihm ab.

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