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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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jeder Schritt so schwerfiel, als trüge sie Blei an den Fesseln. Erst als ihre Sohle an die Tür stieß, drehte sie sich um.
    »Lydia«, sagte er.
    Sie fuhr herum.
    Er hatte den Kopf gehoben und suchte ihren Blick. Schleppenden Schrittes ging er zum Nachtkasten, zog etwas aus der Lade und kam damit auf sie zu. Seinen Reithandschuh. Baumelnd zwischen seinen Fingerspitzen. »Lydia, ich schäme mich so«, flüsterte er, seiner Stimme beraubt. »Ich liebe dich. Kannst du mir jemals verzeihen?«
    Sie sah seinen Händen zu, die ihr den Handschuh über die Finger streiften, stark zitterten und ewig brauchten. Als er fertig war, gab er ihre Hand frei und hielt ihr sein Gesicht entgegen. Ohne sich abzuwenden, zupfte sie sich den Handschuh Finger für Finger wieder runter und steckte ihn ein. Zart legte sie ihm die Arme um den Hals, reckte sich und rieb ihre Wange an seiner, seine Tränen in ihre. Sie konnte auch nur noch flüstern. »Aber ja, mein Liebster«, flüsterte sie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Ich verzeihe dir. Ich liebe dich. Darauf, dass ich deine Frau war, bin ich stolz.«

Teil V
    Selene
    »I love to dance, dilly dilly,
    I love to sing.
    When I’ll be queen, dilly dilly,
    You’ll be my king.
    Who told you so, dilly dilly,
    Who told you so?
    I told myself, dilly dilly,
    I told me so.«

Kapitel 49
    Portsmouth, Dockyards, Mai 1910
    I st das ein Wunschtraum?«, fragte Annette und wies mit ungeniert ausgestrecktem Arm auf den Mann, den der wachhabende Sergeant eben durch das hohe Tor auf das Gelände treten ließ. »Oder die kalte Wirklichkeit?«
    Selene musste lachen. »Wenn so dein Wunschtraum aussieht, genieße ihn. Ich widme mich in der Zwischenzeit wieder dem meinen.« Sie drehte sich um und sah hinüber zur Helling, die aus der offenen Werkhalle ragte. Dort lag die Sirius, das fast fertig verkleidete neue Schiff der Dreadnought-Klasse, auf Kiel. Der gigantische Schiffsrumpf war von Gerüsten umgeben, auf denen Arbeiter standen, um auf dem Skelett der Spanten die Stahlplatten festzunieten, die ihnen von zwei Turmkränen aus zugereicht wurden. Tatsächlich hätte Selene sich einen Anblick, der ihr Blut stärker in Wallung brachte, nicht vorstellen können. Das Klirren der Metallhämmer, das Schnarren der Drehkränze und die knappen Befehle, die die Männer einander zuwarfen, waren Musik in ihren Ohren. Nichts anderes gab ihr so sehr das Gefühl, am rechten Platz zu sein.
    Selene war am Meer geboren, in Portsmouth, dem bedeutendsten Marinestützpunkt Europas und zugleich der Stadt, in der vor bald vierhundert Jahren zum ersten Mal ein Trockendock errichtet worden war, was den Schiffsbau revolutioniert hatte. Revolutionär war Portsmouths Schiffsbau noch heute. Hinter den bewachten Toren des Werftgeländes war vor fünf Jahren die Dreadnought gebaut worden, das erste Großkampfschiff, das über ein einheitliches Kaliber verfügte. Bis dahin hatte der Bau von Kriegsschiffen sich derart rasant entwickelt, dass die meisten Typen, wenn sie vom Stapel liefen, bereits überholt waren. Die Dreadnought aber hatte einen neuen Maßstab gesetzt und den Startschuss für ein wahres Wettrüsten abgefeuert. In ganz Europa lief die Maschinerie der Schiffswerften heiß, weil jede Nation ihre eigene Flottille von Dreadnoughts wollte.
    Vor diesem Hintergrund erschien es Selene nur natürlich, dass sie sich von klein auf für Schiffe begeistert hatte wie andere Mädchen für Porzellanpuppen. Zudem entsprach der atemlose Fortschritt des Schiffsbaus ihrem Naturell. Nichts ging ihr schnell genug, und Stillstand war ihr unerträglich. »Als Gott die Geduld verteilte, war Selene beim Schwimmen«, pflegte ihre Tante Georgia zu sagen und traf damit den Nagel auf den Kopf.
    So sehr die Tante sich bemüht hatte, ihr Interesse für die beschauliche Gediegenheit des Hotelwesens zu wecken, für Selene stand fest, was sie mit ihrer Zukunft anfangen wollte, seit sie im Alter von sieben Jahren zum ersten Mal erlebt hatte, wie ein Schiff auf Kiel gelegt wurde. Ihrem Onkel, der sie an der Hand gehalten und die fünfjährige Annette auf dem Arm getragen hatte, hatte sie befohlen: »Sag den Männern, ich will bei ihnen bleiben. Ich werde Schiffsbauingenieur.«
    »Talent hast du ohne Frage«, hatte der Onkel ohne eine Wimper zu zucken erwidert. »Ich bezweifle, dass ich in deinem Alter dieses Wort auch nur ansatzweise hätte aussprechen können.«
    Seitdem kam sie her, sooft es ihre Zeit erlaubte. Zwischen den verschwitzten Arbeitern der

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