Die Mondrose
inne, griff noch einmal nach der Karte und klatschte sich vor die Stirn. Wie konnte er das vergessen – von diesen Adams aus London gab es ja zwei, und Hyperion hatte mit tödlicher Treffsicherheit die für ihn passende gewählt.
»Hast du dazu nichts zu sagen?« Bernice stemmte eine Hand in die Hüfte. »Der Haushalt drüben wird ja dann in Zukunft noch mehr von unserm Geld verschlingen.«
Damit hatte sie recht. Das skandalöse Testament seines Vaters sah vor, dass sich Hyperions Anteil im Fall einer Heirat um zehn Prozent erhöhte. Hector hätte den altbekannten Zorn fühlen sollen, doch stattdessen verspürte er Triumph. Wenn sich Hyperion über den unverdienten Zugewinn freute, so würde er ihm die Freude gehörig versalzen. Vor kurzem hatte er begonnen, seine Tätigkeit im Holzhandel zurückzufahren, ganz allmählich nur, doch bald würde sich der Unterschied bemerkbar machen. Wenn dazu heute alles lief wie geplant, war er seinem Ziel so nah wie nie zuvor. »Können wir essen?«, fragte er seine Frau deshalb knapp. »Ich habe nachher noch eine Unterredung.«
»Wie beliebt«, schnaubte Bernice. »Ich halte dich nicht auf. Von deinem Bruder hätte ich übrigens nicht erwartet, dass er sich noch zur Ehe durchringt. Ich dachte immer, er sei mit seiner verblichenen Mutter verheiratet.«
»Oh, keine Sorge«, erwiderte Hector blendend gelaunt. »Er heiratet seine verblichene Mutter.«
Der Blick, den Bernice ihm zuwarf, war Gold wert. Liebend gern hätte Hector mitten im Salon ein schmutziges Lied darauf gepfiffen.
Fünf Stunden später, nachdem er sich wortreich von seinem Besuch verabschiedet hatte, war seine Laune noch besser geworden. Sein tolldreister Plan war aufgegangen. Selbst er, der an hohes Pokern gewöhnt war, hatte Mühe zu glauben, dass alles so glatt gelaufen war. Seinem Gast, Richter Henderson, einem der Ratsherrn von Portsmouth, war er im Haus seines Schwagers begegnet und hatte sich seither bemüht, ihn für sein Vorhaben zu gewinnen. Es ging um den Erwerb teurer Wegerechte zur Verlegung von Leitungen, um Startkapital und nicht zuletzt darum, der Stadt den Ausbau ihres Gasnetzes schmackhaft zu machen. Henderson war ein skeptischer Knochen, und Nettlewood, der bebrillte Bedenkenträger, hatte die Sache nicht leichter gemacht.
Letzten Endes aber hatte er den Zweifler überzeugt. Ein neues Zeitalter brach an. Wenn morgen früh im Rathaus die Papiere unterzeichnet wurden, war er Besitzer der ersten Gasanstalt von Hampshire.
Davon hatte er geträumt. Dass sich mit Gas finstere Gassen erleuchten ließen, war inzwischen wohl bis zum letzten Bäuerlein durchgedrungen. Dass man Gasleitungen aber bis in die Herzen der Haushalte, an die Herdstellen verlegen konnte, um mit Hilfe der Zaubersubstanz blitzschnell Mahlzeiten zu kochen, erschien sogar gebildeten Menschen unglaublich. Er, Hector Weaver, war nicht nur der gewiefteste Geschäftsmann, der je in Solentwasser gewaschen worden war. Während er sich einen letzten tiefgoldenen Brandy einschenkte und ihn in langsamen Zügen genoss, fühlte er sich wie ein Pionier, der in den Kolonien neues Land urbar machte. Brachte sein Bruder mit seinem Gutmenschentum seiner Stadt auch nur halb so viel Segen?
Und die Krönung des Ganzen war, dass er bereits wusste, was er dem nämlichen Bruder zum Verlöbnis schenken würde. Morgen, gleich nach der Unterzeichnung, würde er in Erfahrung bringen, wann seine Anlage mit der Fertigung beginnen konnte, und dann würde er den Teutonen, der die Liebesgabe womöglich auf dem Rücken schleppen konnte, beordern, sie auszuliefern. In seinem stillen Haus saß Hector beim verlöschenden Feuer und fühlte sich so wach und stark wie nie zuvor.
Ein paar Wochen lang, während der Frühling begann und die Spuren der Krankheit verblichen, war Daphne glücklich. Sie war im Haus von Hyperions Doktorvater Fergus Vernon untergebracht und wurde von dessen Frau Louise wie eine Tochter verwöhnt. Die Vernons waren reizend. Der alte Doktor wirkte zerbrechlich wie Porzellan, aber seine Ansichten waren unverwüstlich wie Stahl. Die rundliche, herzliche Louise gestand Daphne unverblümt, dass es der Kummer ihres Lebens war, keine Kinder zu haben, und dass ihr Herz den mutterlosen Hyperion an Sohnes statt angenommen hatte.
»Dass ein so zauberhaftes Geschöpf wie Amelia Ward-Weaver so elend dahingehen musste, ist nicht zu verwinden. Ich rede mir gern ein, Amelia wäre froh, dass ich mich ihres Jungen annehme – schließlich hat er ihr
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