Die Mondrose
das also und kommen zum Thema zurück.«
Von welchem Thema war die Rede gewesen? Weshalb fiel es ihr so leicht, ihn zu verwirren und ihm Gedanken aufzuzwingen?
Die Miene, zu der sie den Mund verzog, war beinahe ein Lächeln. »Ich werde dir sagen, was ich denke. Ich denke, deine Mutter war ein Gottesgeschenk. Ich liebte sie sehr, und ihr Verlust ist eine wahre Tragödie. Dass das Bräutchen, das du uns ins Haus holst, ihr ähnlich ist, halte ich dennoch nicht für ausgeschlossen. Da mein Enkel sich ja in Schweigen hüllte, habe ich Erkundigungen eingezogen. Tatsächlich wagte auch Louise Vernon den Vergleich mit Amelia, und wenn dem so ist, kann ich dir kaum einen Vorwurf machen.« Ihrem Schweigen war anzumerken, dass sie nicht fertig war, sondern nur eine Pause einlegte, um sich zum nächsten Angriff zu wappnen. »Amelia war ein Segen«, fuhr sie wie erwartet fort, »und deine Daphne mag ebenfalls einer sein. Aber Amelia war schwach. Wenn deine Daphne ihr tatsächlich ähnlich ist, wird sie ihr darin nicht nachstehen.«
Hyperion sprang auf. »Wie kannst du so von meiner Mutter sprechen? Hast du nicht eben behauptet, du hättest sie geliebt? Kannst du an irgendeinem Menschen ein gutes Haar lassen, oder gilt in Wahrheit für dich, was du Charles Darwin unterstellst, wünschst du uns alle auf die Bäume?«
»Nicht übel, Freundchen.« Seine Großmutter hob die Brauen. »Wenn die Dame Daphne auch nur ein Fünkchen vom Mumm deines Vaters aus dir herauslockt, verdient sie Beifall. Geh, regle deine Belange, lass dir ein paar ordentliche Hemden schneidern. Vielleicht kommst du ja aus dem verdreckten Siechenheim heraus, wenn du dich anschickst, den Bräutigam zu spielen.« Als Hyperion sich nicht rührte, vollführte sie die Handbewegung, mit der sie ihn als Knaben aus dem Zimmer geschickt hatte. »Na wird’s bald, die Höhle des Löwen gibt dein Haupt wieder frei. Im Übrigen habe ich die strittige Aussage nicht getätigt, um deine Mutter zu schmähen, sondern weil ich es für nötig hielt, dich zu warnen.«
»Wovor?«
»Nun, Amelia war schwach, und deine Daphne ist es fraglos nicht minder. Aber Amelia durfte es sein, denn der Mann, den sie geheiratet hatte, war stark genug für zwei.«
In dieser Nacht konnte Mildred nicht schlafen. Es war so weit. Viel schneller, als sie in ihren kühnsten Träumen erhofft hatte. War es nicht gut, dass sie ihn gedrängt hatte? Bei einem so vornehmen Mann, der niemanden vor den Kopf stoßen wollte, wirkte ein wenig Härte Wunder.
Sie war zornig auf ihn gewesen, weil er mit Daphne Geheimnisse hatte. Tagelang hatte ihr Zorn sie gequält, und sie hatte ihm die Qualen heimzahlen wollen, aber wieder einmal war es ihr unmöglich, ihm weh zu tun. Als er auf den Stein klopfte, damit sie sich neben ihn setzte, als er mit seinem zerknirschten Lächeln um Verzeihung bat, war es um ihre Entschlossenheit geschehen. Mildred kannte die Zeichen, die verrieten, dass ein Mann eine Frau begehrte, sie hatte sie hundertmal gesehen, sie aber an Hyperion zu erleben setzte ihr Herz in Brand. Mit aller Kraft hatte sie sich gewünscht, Mount Othrys zu besitzen, nie mehr arm zu sein und Daphne die Welt zu kaufen, doch als sie in der Abendsonne sein Gesicht sah, wünschte sie sich nur noch ihn, sonst nichts.
Dabei war das natürlich Unsinn. Warum sollte sie nicht Hyperions Liebe haben und ein gutes Leben obendrein? Hatte sie nicht hart genug darum gekämpft? Sie wollte es Daphne erzählen. Wann kam Daphne endlich nach Hause, um zu erfahren, dass ihre Welt eine andere geworden war? Wäre sie enttäuscht, wenn Mildred ihr sagte, dass sie nun doch nicht nach Australien segelten? Mit ihrer angeschlagenen Gesundheit wäre Daphne für die Reise ohnehin nicht stark genug gewesen, sie wäre in der Wärme von Mount Othrys am sichersten aufgehoben. Und was die Liebe eines Mannes betraf, so war Daphnes empfindliche Natur mit Romanen weit besser dran als mit der Wirklichkeit.
So viele Bilder und Zukunftsträume schwirrten Mildred durch den Kopf und hielten sie wach. Kurz vor dem Morgengrauen beschloss sie, es mit dem Schlaf nicht länger zu versuchen, stand auf und begann im ersten Tageslicht ihre Wäsche auszubessern, wozu sie seit Tagen nicht gekommen war.
Als sie nach oben ging, schoss aus der Küche Sarah auf sie zu und teilte ihr in steifem Ton mit, ihr Frühstück sei im Morgenzimmer aufgetragen. Mildred verbiss sich jede Erwiderung und verhielt sich, als würde sie jeden Tag in dem lichtdurchfluteten Raum
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