Die Mondrose
Die Blutung war nicht zu stillen, die Sägespäne unter dem Tisch waren längst durchtränkt. An dem Blutverlust würde die Frau verenden, ehe sie ihr Kind gesehen hatte. Er hatte keine Wahl. Ich bin ein Feigling, hätte er seiner Liebsten sagen wollen, aber in diesem Augenblick hatte ich Mut.
»Vorbereiten zur Hysterektomie«, rief er Vernon und seinen Helfern zu und griff nach dem Rosshaargarn zur Unterbindung der Blutzufuhr. In der Stille hörte er das Rattern der hölzernen Verbandsspule. Darauf konzentrierte er sich, während seine Finger im Leib der Frau ihre Arbeit taten. Sobald fest abgebunden war, hob er die Gebärmutter aus der Wunde wie zuvor das Kind und schnitt sie oberhalb der Unterbindung heraus.
Noch auf Stunden konnte keiner von uns schlafen, hätte er gern Daphne erzählt. Wir entfernten Blutklumpen, säuberten die Wunde und überwachten alle Funktionen. Es ist ein Wunder, Liebstes. Sie überstand die Nacht, und als der Morgen graute, erstarkte ihr Puls. Dass dies das Gute war, hätte er Daphne sagen wollen, der Grund für alles. Aber wie sollte ein zartes Mädchen, das um Vögel weinte, begreifen, dass es an einer Frau, die keine Gebärmutter mehr hatte und keinen Ort, an den sie mit ihrem Kindchen gehen konnte, etwas Gutes gab? Daphne war zu empfindsam für die Welt, und dafür liebte er sie. Er würde ihr nichts erzählen.
Schwerfällig machte er seinen morgendlichen Rundgang durch die Bettenhäuser, dann trat er endlich den Heimweg an.
Daheim wäre er zum Erzählen ohnehin nicht gekommen, denn der Haushalt befand sich in heller Aufregung. Zwei erwartete Lieferungen, eine vom Metzger und eine mit Pferdefutter, waren ausgeblieben, es war keine Kohle für die Öfen da, und Liz, das neue Mädchen, war auf und davon. »Sie hat behauptet, sie habe seit Wochen kein Geld bekommen.« Auf Daphnes Wangen glänzten die Spuren fortgewischter Tränen. »Ich wünschte, wir müssten dich damit nicht belästigen. Du hast so viel auf den Schultern, und mit dem Haushalt sollte deine Frau allein fertig werden, aber ich bin so schrecklich unbegabt. Ich weiß einfach nicht, wie man in solcher Lage handelt. Ganz anders Mildred. Sie hat uns angepfiffen, wir sollen uns nicht wie hysterische Hühner betragen, und jetzt ist sie unterwegs zum Markt, um Fleisch und Kohle zu kaufen.«
Er zog sie an sich, ließ sie aber gleich wieder los, weil er fürchtete, ihr weh zu tun. »Du darfst dich nicht quälen, hörst du? Ich bin es, der diese Dinge von dir fernhalten sollte, nicht umgekehrt.« Warum hatte er es so weit kommen lassen, warum hatte er nicht längst mit Hector gesprochen? Zu viel kam dazwischen, versuchte er sich zu erklären, wusste jedoch, dass dies keine Antwort, sondern eine Ausflucht war.
Bereits nach seiner Verlobung hätte er seinen Bruder zur Rede stellen müssen. Wie es aussah, zahlte Hector den Anteil der Einnahmen, der Hyperion zustand, nicht mehr in Gänze aus, geschweige denn die Erhöhung, die mit seiner Heirat fällig wurde. Statt den Bruder jedoch aufzusuchen, wich Hyperion ihm aus. Er schuldete Hector das Geld für die Verlobungsfeier. Zwar hatte der Bruder versprochen zu warten, bis Hyperion sich finanziell erholt hatte, aber was sollte er tun, wenn Hector die Summe selbst benötigte? Hinzu kam, dass sein Gewissen ihn quälte. Das Testament seines Vaters war alles andere als gerecht, und Hyperion hatte immer geglaubt, dass er eines Tages genug verdienen würde, um auf Hectors Verdienst zu verzichten.
In letzter Zeit aber war die Anzahl seiner Patienten geschrumpft, während die Kosten stiegen, da er seine Frau und ihre Schwester nicht unangemessen hausen lassen konnte. Ohne die Einnahmen aus dem Geschäft war der Haushalt auf Mount Othrys verloren. Hyperion rauschte der Schädel, wenn er nur daran dachte.
Bei der Ausrichtung der Hochzeit hatten die Vernons ihm unter die Arme gegriffen. Freiheraus hatte Louise Vernon erklärt, sie betrachte Daphne als Patentochter und werde es sich nicht nehmen lassen, zur Feier etwas beizusteuern. Dennoch schämte sich Hyperion in Grund und Boden. Auf keinen Fall durfte Daphne davon erfahren, sie hätte mit den Vernons nie mehr unbefangen umgehen können.
Die Weihnachtsfeiern hatten erneut Geld verschlungen. Zu seinem Glück waren große Gesellschaften, wie er sie als frisch verheirateter Mann hätte geben müssen, in diesem Jahr nicht angebracht, da über das ganze Land Trauer verhängt war. Unerwartet war Prinz Albert, der abgöttisch geliebte Gatte der
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