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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Er lässt sich einmal im Quartal die Abrechnung zeigen, ansonsten genieße ich sein Vertrauen. Darf ich Sie bitten, die Aufstellung zu prüfen? Wie Sie den Summen entnehmen können, haben Sie auf den Penny erhalten, was Ihnen testamentarisch zugesichert ist. Einschließlich der fälligen Erhöhung.«
    Hyperions Blick flog über die Zahlenreihen. Er verstand nichts davon. Sooft sein Vater ihn in die Geheimnisse der Buchführung hatte einweihen wollen, war er zu seiner Mutter geflüchtet. Was schwarz auf weiß vor ihm aufgelistet stand, begriff jedoch sogar er. Die Abrechnung besagte, dass nicht sein Anteil innerhalb des letzten Jahres geschrumpft war, sondern der Ertrag des Holzhandels insgesamt.
    Während er fieberhaft nach einer anderen Deutung suchte, bestätigte Nettlewood das Schlimmste. »Ich bin froh, dass Ihr Vater das nicht erleben muss. Der Niedergang seines Lebenswerks hätte ihm das Herz gebrochen.«
    »Der Niedergang? Aber das ist doch nicht möglich, es kann sich doch höchstens um eine Krise handeln …«
    Betrübt schüttelte der alte Mann den Kopf. »Wir haben bereits Arbeiter entlassen. Die eisenverkleideten Schiffe treiben mehr und mehr Holzhändler aus dem Geschäft.«
    »Aber in Portsmouth wird doch überall gebaut!«
    Nettlewood zuckte mit den Schultern. »Ich gebe zu, auch ich riet Ihrem Bruder anfangs dazu, sich auf den Baumarkt zu verlegen, aber letzten Endes habe ich kein Einspruchsrecht. Da er nun einmal allein die Verantwortung trägt, liegt die Entscheidung bei ihm.«
    Der Tadel war nicht zu überhören. Hyperion hatte seinen Vater enttäuscht, seinen Bruder allein gelassen und seine Misere verdient. Obwohl der Raum überheizt war, wurde der Schweiß auf seiner Haut kalt, als er begriff, wie verzweifelt seine Lage war. Es gab kein Geld, das ihm zustand, und es würde auch in Zukunft keines geben. Er würde Wege finden müssen, seinen Haushalt allein zu finanzieren, Scharen von Patienten, die ihm keine Zeit für das Spital ließen. Vor allem aber musste er gehen und seiner Familie sagen, dass er keine Kohle bestellen, das Mädchen Liz nicht auszahlen und Mildred ihr Geld nicht wiedergeben konnte. Womit er am Monatsende die Lebensmittelrechnungen begleichen sollte, stand in den Sternen.
    »Dr. Weaver?«
    Erschrocken blickte Hyperion auf.
    Mit ruhigem Griff öffnete der Buchhalter eine weitere Schublade und entnahm ihr ein Heft. »Ihr Vater hätte gewünscht, dass Sie in Bedrängnis Unterstützung erhalten. Zu meinem Glück ist es mir möglich, Ihnen auszuhelfen.« Er schrieb etwas in das Heft, stellte Hyperion einen Wechsel aus und schob ihn über den Tisch.
    Hyperion wollte protestieren. Nettlewood hatte sich jeden Penny, den er besaß, hart erarbeitet, auf keinen Fall durfte er seine Hilfe annehmen. Im nächsten Atemzug fiel ihm jedoch ein, dass er keine Wahl hatte.
    »Es steht mir nicht zu«, sagte Nettlewood. »Dennoch bitte ich Sie, mir die Bemerkung zu gestatten: Sie sind jetzt ein verheirateter Mann. Dass Sie allein entschieden, was Sie taten, mag angegangen sein, solange niemand auf Sie angewiesen war. Jetzt aber müssen Sie bei Ihren Entschlüssen Verantwortung tragen.«
    »Ich weiß«, erwiderte Hyperion.
    Nettlewood schob ihm den Wechsel zu. »Sie sind der Sohn eines Ehrenmannes, Doktor. Sie sind es Ihrem Vater schuldig.«

    Er wies Max an, den Wagen nach Mount Othrys zu bringen und nach Hause zu gehen. Er selbst musste laufen, in der klirrenden Kälte darauf hoffen, dass ihm eine Lösung einfiel. In der Brennstoffhandlung gab er seine Bestellung auf, kaufte noch hier und dort eine Delikatesse, von der er wusste, dass Daphne sie gern aß, und einen Spitzenschal als Geschenk, als wäre alles wie immer. Vielleicht war dies sein größter Wunsch – jeden glauben zu machen, es wäre alles wie immer.
    Einem aber musste er sagen, dass sein Leben sich ändern würde – Vernon. Wie von selbst schlug er den Weg zum Spital ein. Sein Doktorvater würde seine Entscheidung gutheißen, so hart es die Kranken auch ankam. Er hatte ihm immer geraten, sich sein Leben nicht entgleiten zu lassen. »Sich um die Leiden der Welt zu scheren ist gut, solange man nicht vor seinen eigenen flieht.«
    Die Operation der Nacht fiel ihm ein. Das überströmende Glück, als seine Finger spürten, dass der Puls der jungen Frau erstarkte. War es nicht das, was den Beruf des Arztes ausmachte? Hatte ein Mann, der Heilkunst studiert hatte, wirklich das Recht, seine Zeit mit Dellwarzen und Hüftschmerzen reicher

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