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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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dir dankbar, wenn du das Zimmer bis heute Abend räumen könntest. Die gnädige Frau will es für das Fräulein aus Paris herrichten lassen.«
    »Das können Sie nicht tun!«, rief Sukie. »Ich bitte Sie, lassen Sie mich bleiben, ich kann auch in der Küche arbeiten, ich kann nähen und flicken.« Dass sie sich aufs Betteln verlegte, noch dazu, wo die Tür offen stand und alles Personal sie hören konnte, trieb ihr die Schamröte in die Wangen.
    Hector Weaver verzog den Mund zu einem hässlichen Lächeln. »Bei so vielen Talenten wirst du gewiss nicht lange nach einer Stellung suchen müssen. Wer weiß, vielleicht stellt sogar die Königin dich ein – obgleich, ohne ihren Albert fährt sie ja nicht mehr in die Sommerfrische.«
    »Darf ich wenigstens bleiben, bis ich etwas Neues habe?« Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie widerte sich an.
    »Du hast mich doch verstanden, Goldkind. Und du weißt auch, dass ich kein Mann bin, der seine Meinung ändert. Also los, ab mit dir.« Noch einmal sauste seine Hand auf ihren Hintern nieder. Sukie stand starr vor Scham, bis er gegangen war.
    Um ihre paar Habseligkeiten zu packen, brauchte sie mehr als eine Stunde. Mit jedem Stück, das sie in die schäbige Stofftasche legte, schien das Unfassliche wirklicher zu werden. Wie konnte er ihr das antun? Ein Kindermädchen war keine gewöhnliche Dienstmagd, sondern ein geachtetes Mitglied des Haushalts, das man Bekannten empfahl, ehe man es entließ. Hector Weaver aber war zur Achtung nicht fähig. Er missachtete seine Frau, die er unter ihrem eigenen Dach mit dem Personal betrog, seine Tochter, die er nicht einmal ansah, und den Sohn, den er derart gnadenlos prügeln ließ, dass Sukie einmal dumm genug gewesen war, dazwischenzugehen. Dass ausgerechnet Hector Weaver einen schwachsinnigen Sohn hatte, war eine Ironie des Schicksals, für die das arme Wurm ein Martyrium ohnegleichen durchlitt.
    Weavers Missachtung seiner Angestellten ging noch tiefer. Sie waren nicht mehr als Spielzeug für ihn, und wenn er eines von ihnen kaputt gespielt hatte, warf er es weg. Am schlimmsten traf es Victor März, seinen Geschäftsführer in Milton’s Court, den er als Mädchen für alles missbrauchte. Hatte er ihn in einem Augenblick noch herablassend gelobt, so kanzelte er ihn im nächsten ab wie einen dummen Jungen. Sooft Sukie solche Szenen miterlebte, zog sich etwas in ihr zusammen. Victor März war der freundlichste Mensch, der im Haus herumlief, aber das war nicht alles. Er war größer und breiter gebaut als alle Männer, die sie kannte, und dabei sanft in allem, was er tat. Es lag etwas Kostbares darin, wenn ein starker Mann sanft war, fand Sukie. Unweigerlich stellte man sich dabei vor, wie er sanft mit einer Frau umging.
    Er war ein schöner Mann, fand sie. Stattlich, immer sauber, das Gesicht klar geschnitten und die Augen wundervoll. Sie hatte begonnen von ihm zu träumen, und wäre das Widerliche nicht gewesen, das Hector Weaver mit ihr tat, so hätte sie sich Hoffnungen gemacht. Würde sie Victor je wiedersehen, wenn sie Mount Olymp verließ?
    Sukie legte ein Kleid in ihre Tasche, das sie gekauft hatte, um Hector Weaver zu gefallen. Hätte sie es bleiben lassen, hätte sie jetzt zumindest Geld für ein Pensionsbett. Ihre Hände wurden eiskalt, als ihr einfiel, dass sie nicht einmal wusste, wo sie die Nacht verbringen sollte. Sie kannte so gut wie keinen Menschen in der Stadt, und zu ihrer Familie nach Havant konnte sie nicht zurück. Sie hatte sich den Heiratsplänen ihres Vaters widersetzt und den Bruch in Kauf genommen, um frohgemut in die Welt hinauszuziehen, sicher, dass sie sich dort ihren Platz erobern würde. Wie sehr wünschte sie sich jetzt, sie hätte mit dem öden, gefahrlosen Leben in der Kleinstadt vorliebgenommen, besäße ein warmes Bett und wüsste, woher ihre nächste Mahlzeit kam. Schwer hämmerte eine Faust an die Tür. »Ich käm denn jetzt gern zum Saubermachen«, keifte das plumpe Hausmädchen, das sich an Sukies Elend zweifellos weidete.
    Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Die Tasche zu nehmen und schleppenden Schrittes aus dem Zimmer zu schleichen, das sie sieben Jahre lang bewohnt hatte. Es waren böse Jahre gewesen, Jahre, die ihre Selbstachtung zerstört hatten, aber sie hatten ihr nicht alle Hoffnung genommen. Das war erst jetzt geschehen. Mit erschreckender Klarheit sah sie das Schicksal vor sich, das sie erwartete. Ohne Empfehlung, ja sogar ohne Wohnadresse würde sie sich als Kindermädchen

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