Die Mondrose
es nicht als Geschenk auf, sondern als einen Gefallen, den Sie mir tun. In Fergus’ Namen. Sie wissen, er hätte gewollt, dass Sie fahren.«
»Das kann ich nicht annehmen«, stammelte Hyperion, in dessen Kopf sich Gedanken überschlugen. In London stand der erste internationale Kongress der Kontagionisten bevor. Mediziner aus dem Süden Europas, wo die Ansteckungstheorie längst als gesichert galt, würden ihre Erkenntnisse vorstellen, und es stand zu erwarten, dass die Theorie im eigenen Land endlich einen Schritt vorankam. Bisher war Pacinis Entdeckung des Cholera-Erregers in England ungehört verhallt. Wenn sich jetzt aber anerkannte Wissenschaftler aus aller Welt dafür starkmachten – wie viele Leben mochte das retten? Hyperion war sicher gewesen, die Einladung ausschlagen zu müssen. Wie hätte er vier Wochen lang Portsmouth den Rücken kehren sollen, wie Reise und Aufenthalt finanzieren, wie vor allem seinen Verdienstausfall abdecken? Dass Mildred zu dem Unternehmen ihre Zustimmung gab, war undenkbar, und dass er etwas ohne Mildreds Zustimmung tat, noch undenkbarer.
»Sie müssen es nehmen«, sagte Louise Vernon. »Was soll ich sonst damit tun, wie Fergus’ Andenken am Leben halten? Er fehlt mir, Hyperion. Fehlt er Ihnen nicht?«
»Doch«, erwiderte Hyperion. »Jeden Tag.« Seit sein Doktorvater nicht mehr am Leben war, hatten seine Zweifel sich zu Dämonen ausgewachsen. Dennoch geschah es ihm, dass er über den Verlust des Freundes geradezu erleichtert war. Zumindest bestand keine Gefahr, dass Fergus Vernon je erfahren würde, wie schändlich sein Protegé Werte, die sie geteilt hatten, mit den Füßen trat.
»Fahren Sie für ihn.« Louise Vernon sah ihm ins Gesicht. »Tragen Sie dem Kongress vor, was Sie beide erarbeitet haben. Es war sein Lebenswerk. Wer, wenn nicht Sie, könnte es der Welt übergeben?«
Hyperion zwang sich ein Lächeln ab, von dem er spürte, wie falsch es geriet. »Wenn ich tatsächlich Zeit finde, zum Kongress zu reisen, dann nicht mit Ihrem Geld, Louise.«
»Sie haben doch keines!«, rief sie. »Nein, versuchen Sie nicht, mir etwas vorzugaukeln. Glauben Sie, ich wüsste nicht, dass Ihre Schwägerin Ihnen den letzten Tropfen Blut abpresst? Ganz Southsea weiß es, und schämen müssen Sie sich vor mir dafür nicht, mir tut es aus tiefstem Herzen leid um Sie. Wenn ich einen Weg wüsste, Sie und Daphne von dieser Fuchtel zu befreien, dann würde ich nicht zögern, ihn zu gehen.«
»Sie dürfen das so nicht sehen«, wandte Hyperion lahm ein. »Wir verdanken Mildred unendlich viel. Die Stadt tut ihr Unrecht – sie liebt Daphne über alles und täte ihr nie ein Leid.« Es sei denn, ein Mann, der tierischer ist als der letzte Dreckskerl aus Londons Gosse, verführt sie dazu, fügte er im Stillen hinzu.
»Darüber kann man geteilter Ansicht sein«, bemerkte Louise spitz. »Meiner Meinung nach fügt man einer Frau durchaus ein Leid zu, wenn man ihren Mann von ihr fernhält und ihr einredet, sie sei nicht in der Lage, für ihre Familie zu sorgen. Daphne ist zart, aber sie ist keine Invalidin. Im Gegenteil, als sie bei uns lebte, erschien sie mir trotz der überstandenen Krankheit zäher als manch stark gebautes Weibsbild. Ist Ihnen wirklich nie in den Sinn gekommen, dass es Mildred sein könnte, die Sie hindert, mit Ihrer Frau und Ihren Kindern glücklich zu sein?«
»Dass Sie so von ihr sprechen, erlaube ich nicht«, protestierte Hyperion. »Nicht einmal Ihnen. Mildred täte alles für Daphne.«
»Und für Sie?«
Er schwieg.
Sie schob ihm das Geld zu. »Fahren Sie auf den Kongress. Ihre Begabung stellt eine Verpflichtung dar. Und vielleicht verhilft Ihnen ein wenig Abstand vom häuslichen Leben ja zu neuen Erkenntnissen.«
Der Gedanke war verlockend. Liebend gern hätte er das unlösbare Dilemma, die immer tiefere Verstrickung in Schuld vier Wochen lang hinter sich gelassen, um sich allein seinem Beruf zu widmen. Womöglich würde es ihm wirklich neue Erkenntnisse bescheren, einen Weg, dem Kreislauf des Unheils zu entkommen. Die Sehnsucht nach dem Leben, das er mit Daphne und Louis geführt hatte, nahm ihm zuweilen den Atem. Gab es eine Möglichkeit, dieses Leben zurückzugewinnen, trotz all der Schuld, die er auf sich geladen hatte? Er sah, wie seine Hand sich nach dem Geld streckte, zog sie im letzten Moment aber wieder zurück. »Es ist nicht machbar, Louise. Ich kann mir nicht leisten, meine Patienten zu verärgern, indem ich vier Wochen lang nicht erreichbar bin.«
»Ich
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