Die Mondscheinbaeckerin
Strandtasche ausstreckte, um eine Flasche Wasser herauszuholen, hielt er ihn fest und schob den Ãrmel hoch.
Julia kostete es groÃe Mühe, ihm den Arm nicht zu entwinden. Aber er kannte die Narben. Wie die meisten hier. Sie konnte sie nicht immerzu verstecken.
Er lieà den Daumen über die Narben gleiten. Manche waren sehr dünn, andere breit und erhoben. Diese zärtliche Geste versetzte ihr einen kleinen Stich.
»Wem hast du dich in ihrem Alter anvertraut, Julia?«
Dir. »Niemandem. Deswegen kann ich Emily verstehen.« Sie entzog ihren Arm seinem Griff. »Ich will sie nicht der Sonne aussetzen. Wenn ich braun bin, sind sie noch deutlicher zu sehen.«
»Hattest du nie das Gefühl, mit deinem Dad oder deiner Stiefmutter reden zu können?«
»Dad wusste nicht, was er mit mir anfangen sollte. Und Beverly hat sich um Dad gekümmert, nicht um mich. Sie hat ihn überredet, mich ins Internat zu schicken. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Von hier wegzukommen hat mir vermutlich das Leben gerettet.«
»Und du kannst es gar nicht erwarten, wieder wegzukommen«, stellte er fest.
»Noch sechs Monate.«
Er streckte sich vor ihr aus und stützte den Kopf in eine Hand. »Wann soll ich dich abholen?«
»Abholen?«, wiederholte sie und nahm einen Schluck Wasser.
»Zu unserer Verabredung am Montag. Du hast meine Einladung angenommen. Vor Zeugen.«
Sie schnaubte verächtlich. »So ein Quatsch.«
»Es ist mein Ernst.«
»Nein, ist es nicht. Versuch, jemand anders um den Finger zu wickeln. Dein Charme verfängt bei mir nicht.«
»Du kennst meine volle Charmeoffensive noch nicht.«
»Du machst mir keine Angst.«
»O doch. Deswegen höre ich auf. Ich möchte mit dir reden, Julia. Aber nicht jetzt.« Die blonden Haare an seinen Armen und Beinen schimmerten wie Zuckerwatte.
»Das ist nicht deine Entscheidung.« Sie erwartete, dass er aufstehen und gehen würde, doch das tat er nicht. Frustriert zog sie ein Buch aus ihrer Tasche und rutschte so weit von ihm weg wie möglich, obwohl ein jämmerlicher Teil von ihr die Nähe zu ihm tatsächlich genoss.
Der Teil, der auf ewig sechzehn bleiben würde, erstarrt in der Vergangenheit.
Je näher sie den Feiernden kamen, desto nervöser wurde Emily. Wahrscheinlich hätte sie keine Sekunde gezögert, zu den jungen Leuten zu gehen, wenn sie nicht zuvor den alten Damen begegnet wäre. Doch nun machte sie sich Gedanken darüber, was man von ihr hielt. Sie sagte sich immer wieder vor, dass es keinerlei Grund gab, warum sie nicht hierherpassen sollte.
Die Gruppe hatte sich ein wenig abseits versammelt, in einer Art Höhle, die die Bäume am hinteren Ende der kleinen Bucht formten. Musik drang herüber. Einige Teenager hatten Plastikbecher mit Getränken in der Hand, ein paar Jungen spielten Ball. Auch Erwachsene waren da, von denen einer den Grill bediente, ein kräftiger Mann mit schwarzen Haaren und dröhnender Stimme.
Während Ingrid in die Gruppe eintauchte, zog Emily sich ans hintere Ende der Höhle zurück und holte ein paarmal tief Luft. Kein Grund zur Panik.
Von Julia wusste sie, dass dies der Ort war, an dem sich die Mädchen von Sassafras im Sommer getroffen hatten. Und nun sah sie, dass dies schon lange ein beliebter Treffpunkt für junge Leute sein musste, weil in die Baumstämme Namen und Initialen eingeschnitzt waren. Ihr Blick fiel auf ein groÃes Herz mit den Buchstaben D S + L C . Stand das D S für Dulcie Shelby? Der Gedanke, dass ein Junge ihre Mutter einmal genug geliebt hatte, um ihre Initialen in eine Rinde zu ritzen, gefiel Emily. Als Erwachsene war ihre Mutter nicht viel mit Männern ausgegangen, hauptsächlich mit Arbeitskollegen, und das waren alles kurze Affären gewesen. Sie wolle nichts Ernstes, hatte sie Emily gestanden. Du musst deine Bedürfnisse und Erwartungen immer klar formulieren , hatte sie ihr geraten. Dann tust du niemandem weh. Soweit Emily wusste, war die einzige tiefer gehende Beziehung, die ihre Mutter je gehabt hatte, die mit Emilys Vater gewesen. Sie hatten sich auf hoher See kennengelernt, als sie Delphine vor Fischern schützen wollten, und zehn Tage zusammen auf einem Boot verbracht. Das Resultat war Emily gewesen. Zwei Jahre später war ihr Vater bei einem Sea-Shepherd-Unglück ums Leben gekommen, in einer Aktion gegen illegalen Walfang. Ihre Eltern hatten nie
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