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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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und ging hinein. Ich bestellte Kaffee und Toast und ließ mir vieles durch den Kopf gehen.
    Als ich meine Mahlzeit beendet hatte, beschloß ich, in ein Hotel zu gehen, um erst mal auszuschlafen. Dann wollte ich am nächsten Tag auf Arbeitsuche gehen. Ich war sicher, daß ich diesmal etwas finden würde. Der Morgen war frisch und klar. Ich machte mich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station. Die Straßen waren leer. Es war Neujahrstag, und kaum jemand mußte zur Arbeit. Vor mir eilte ein Mann die Straße entlang. Ich nahm nicht viel Notiz von ihm, da er sich ziemlich dicht an die Häuserreihe hielt.
    Plötzlich verschwand er in einem Türeingang. Ein Wagen fuhr langsam die Straße entlang auf mich zu. Er fiel mir auf, weil er so langsam fuhr. Als er an dem Eingang vorbeikam, in dem gerade der Mann verschwunden war, drang das Staccato mehrerer Schüsse aus dem Wagen. Das Fahrzeug beschleunigte sein Tempo und bog um die Ecke. Eine Sekunde lang blieb ich wie angewurzelt stehen. Dann rannte ich auf den Eingang zu. Der Mann taumelte mir entgegen. Ich ließ meinen Koffer fallen und fing ihn auf. Einen Augenblick lang starrten wir uns an.
    Er erkannte mich. »Frankie!« keuchte er, während ihm das Blut aus den Mundwinkeln rann. »Hilf mir!« Dann fiel er schwer gegen mich.
    Eine volle Minute lang vermochte ich nicht zu denken. Ich konnte nur verblüfft in sein rasch weißer werdendes Gesicht
    starren. Die Uhr war um zehn Jahre zurückgedreht, und wieder verspritzte Silk Fennelli Blut über meine Hemdbrust. Wieder war ich wie damals vor Furcht gelähmt. Zehn Jahre - zehn Jahre vergangen und wieder genau dasselbe! Aber diesmal lief ich nicht davon.
    Ich schaffte ihn nach Bellevue. Meinen Koffer ließ ich auf dem Gehsteig stehen, wo ich ihn abgestellt hatte, stieg mit Fennelli in ein Taxi und brachte ihn ins Krankenhaus.
    Ich hielt mich dort nicht lange auf, sondern machte, daß ich wegkam, nachdem ich ihn eingeliefert hatte. Ich hatte keine Lust, mich von der Polizei vernehmen zu lassen. Als ich wieder auf der Straße war, zündete ich mir eine Zigarette an. Dann fiel mir mein Koffer ein. Ich nahm ein Taxi und fuhr zu der Stelle, wo Fennelli in meine Arme gefallen war. Aber der Koffer war verschwunden. Ich blickte suchend umher, doch er war nirgends zu sehen. Ich lachte bitter. Ich hätte es mir eigentlich denken können!
    Auf einmal war ich sehr müde. Ich ging in ein Hotel, nahm mir ein Zimmer und legte mich schlafen. Erst gegen Abend wachte ich auf. Ich saß auf der Bettkante und zählte mein Geld. Meine ganze Barschaft belief sich auf zehn Dollar. Das mußte reichen, bis ich Arbeit bekam.
    Ich versuchte zu schlafen. Aber es gelang mir nicht. Ich mußte an Marianne denken. Und daran, wie sie es gespürt hatte, wenn ich nicht schlafen konnte. Und wie sie dann in mein Bett kam und neben mir lag. Und wir redeten miteinander, und ich fühlte ihre Wärme und wurde ganz ruhig und gelöst. Dann schlief sie ein. Sie legte das eine ihrer langen, schlanken Beine über meins. Und dann schlief ich auch ein.
    Aber Marianne war nicht hier, und ich konnte nicht einschlafen. Was war überhaupt mit mir? Was erwartete ich mir? Geld? Liebe? Freunde? Ansehen? Ich suchte vergeblich nach einer Antwort. Ich vermißte Marianne. Und ich hatte das
    Bedürfnis, den Hörer des Telefons zu nehmen und sie anzurufen. Ich wollte ihre leise, sanfte Stimme hören: »Hallo, Darling.«
    Aber ich griff nicht nach dem Hörer. Man kann nie denselben Weg zurückgehen. Das hatte ich schon vor langer Zeit gelernt. Niemals!
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, mich geduscht und angezogen und gefrühstückt hatte, kaufte ich mir die Times und las die Stellenangebote durch. Ich wußte nicht recht, was für eine Arbeit ich eigentlich suchte, aber es stand sowieso nichts Passendes drin.
    Ich fuhr zur Sixth Avenue und klapperte die Arbeitsvermittlungen ab, vergeblich. Das beunruhigte mich nicht weiter. Ich war überzeugt, daß sich mir eine Chance bieten würde. Dies war die Zukunft, und sie gehörte mir.
    Zwei Monate später war es immer noch die Zukunft, aber ich begann allmählich zu zweifeln, ob sie mir gehörte. Ich fragte mich, ob die Zukunft, die ich mir versprochen hatte, jemals für mich anbrechen würde. Es war Anfang März und immer noch bitter kalt. Mein neuer, schwerer, warmer Mantel war längst mit meiner Uhr und allen anderen Dingen, die ich entbehren konnte, ins Pfandhaus gewandert. Seit Wochen hatte ich keine richtige Mahlzeit mehr gegessen. Ich

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