Die Moralisten
alle wirklich wichtigen Dinge um dich herum hineinzusteigern. Eine Chance, zu lieben und geliebt zu werden, zu geben und zu empfangen. Eine Chance, deine Tage ohne Furcht, ohne Intrigen, ohne die nagenden, schlafraubenden Zweifel zu verbringen. Eine Chance, deiner Einsamkeit zu entrinnen. Eine Chance, wirklich zu leben und Mensch zu sein und Kinder zu haben...« Die Tränen quollen ihr aus den Augen, und sie konnte vor Schluchzen nicht weitersprechen. Sie stand einfach da und blickte mich mit traurigen Augen an.
Ich wagte nicht, mich ihr zu nähern. Wenn ich zu ihr ging, war ich verloren. Ich spürte eine erstickende Beklemmung in der Brust. Ich konnte sie nicht ansehen und wandte den Kopf ab. Zu lange und zu schwer hatte ich gerungen, um für irgend jemanden alles das aufzugeben, was ich erworben hatte. Ich blickte auf den Teppich und sagte mit leiser, harter Stimme: »Ich ziehe dieses alles vor. Ich weiß, was es darstellt.«
Sie erwiderte nichts darauf. Ihre Tränen versiegten. Sie ging einen Schritt auf mich zu. Dann schloß sich ihr Mund zu einer dünnen Linie. Es war, als bisse sie sich auf die Lippen, um nicht zu sprechen. Sie drehte sich um und ging schweigend zur Tür hinaus.
Ich ließ mich auf die Couch fallen. Ich konnte immer noch ihr Parfüm riechen, und wenn ich die Augen schloß, sah ich sie vor mir. Ruth! Plötzlich fiel mir der Name ihres Parfüms ein: »Armer Tor!« Wirklich der richtige Name.
Auch für mich!
Das Läuten des Telefons riß mich aus dem Schlaf. Ich hatte eine schlechte Nacht gehabt. Zum erstenmal seit Jahren hatte ich nicht gut geschlafen, hatte mich ruhelos hin und her gewälzt und war erst gegen Morgen in einen unruhigen Schlummer verfallen. Ich verwünschte das Telefon, nahm den Hörer ab und brüllte: »Zum Teufel noch mal, was wollen Sie von mir?«
»Frank.« Ich erkannte die Stimme. Es war Alex Carson.
»Na, Alex, was haben Sie auf dem Herzen?«
»Ich habe den ganzen Morgen versucht, Sie im Büro zu erreichen, aber Sie waren noch nicht da.« Ich warf einen raschen Blick auf die Uhr - halb zwölf! Ich kletterte aus dem Bett und setzte mich auf die Kante. »Sie haben Luigerro heute morgen ins Kittchen gesteckt«, fuhr er fort.
»Dann holen Sie ihn wieder heraus. Sie wissen ja, was Sie zu tun haben. Wofür Sie bezahlt werden.«
»Aber, Frank«, protestierte er, »er ist wegen eines Sittlichkeitsvergehens eingelocht. Er hat ein paar Oberschülerinnen mit in sein Haus in Connecticut genommen. Die Bundessicherheitspolizei hat ihn erwischt, und die Zeitungen bauschen die Sache zu einem Riesenskandal auf. Die Eltern der Mädchen machen einen mächtigen Stunk in der ganzen Stadt. Die FBI-Leute haben ihn heute morgen festgenommen und wollen mich nicht zu ihm lassen, bis sie ihre Untersuchung beendet haben!«
Das war ein Schlag ins Kontor! Gestern hatte ich die Unterredung mit Allison, und heute machten sie sich ans Werk -diese Burschen verschwendeten keine Zeit.
»Machen Sie sich an die Eltern heran und bieten Sie ihnen Geld.« Ich wollte verhindern, daß Luigerro aus der Schule
plauderte.
»Das wird die Sache nicht aufhalten«, sagte Carson. »Es handelt sich hier um eine Anklage der Bundespolizei. Die Regierung steckt dahinter, nicht die Eltern der Mädchen.«
»Um Himmels willen, gebrauchen Sie Ihren Verstand! Geben Sie den Leuten Geld. Lassen Sie sich von ihnen bescheinigen, daß sie selbst den Kindern erlaubt haben, mit Louis zu gehen. Er wollte mit ihnen Verwandte besuchen oder irgend so was. Wie Sie's machen, ist egal, aber holen Sie den Mann aus der Haft.« Wütend knallte ich den Hörer auf die Gabel und zog mich an.
Diese gottverdammten Schürzenjäger! Es gab anscheinend nicht genug Weiber auf der Welt, die sie haben konnten, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten - nein, sie mußten auch noch die Minderjährigen verführen. Ich beendete meine Toilette und ließ mir telefonisch meinen Wagen kommen.
Gegen zwölf war ich im Büro und klingelte nach Carson. Er erschien sehr rasch. Er schwitzte ein wenig. »Na, wie stehen die Aktien?« fragte ich.
»Lassen Sie mir etwas Zeit, Frank«, sagte er händeringend. »Solche Sachen kann man nicht übers Knie brechen.«
»Na, schön. Aber lassen Sie ihn herbringen, sobald Sie ihn losgeeist haben.«
Er eilte hinaus.
Ich nahm den Hörer vom Telefon und ließ mich durch Miss Walsh mit Allison in seiner Wohnung verbinden. Eine Stimme sagte: »Hallo.« Es war Allison.
»Allison«, sagte ich, »hier ist Kane. Können Sie
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