Die Moralisten
gelegentlichen Frühaufsteher, der auf dem Weg zur Arbeit war. Die Straßenlaternen erloschen nach und nach. Ich füllte mein Waschbecken mit kaltem Wasser und spritzte es mir über Kopf und Gesicht. Dann zog ich mich an. Ich nahm frische Unterwäsche und ein sauberes Hemd. Die Unterwäsche, in der ich geschlafen hatte, warf ich aufs Bett und ging dann leise durch den stillen Korridor und die Treppe hinunter. Aus den Zimmern drang nicht das leiseste Geräusch. Ich schloß vorsichtig die Haustür auf, stieg die Stufen hinab und ging bis zur nächsten Ecke. Auf der anderen Seite der Straße war ein kleiner Park. Dort setzte ich mich auf eine Bank. In meiner Nähe schleuderte ein Springbrunnen seine Fontäne hoch in die Morgenluft. Die Sonne spiegelte sich in den glitzernden Tropfen. Eine Schar Spatzen ließ sich auf dem Rand nieder. Ihr schrilles Gezwitscher lärmte durch die morgendliche Stille.
Jenseits der Fontäne auf der anderen Seite des Parks lag ein Matrose auf einer Bank und schlief. Einen Arm hatte er sich über die Augen gelegt, um sich vor dem Licht zu schützen. Seine weiße Mütze lag am Boden. Ein Polizist kam durch einen Eingang in der Nähe der Bank in den Park und weckte den Matrosen, indem er ihn sanft an der Schulter rüttelte. Er sagte ein paar Worte zu ihm, die ich nicht verstehen konnte. Der Matrose erwiderte etwas, nahm dann seine Mütze vom Boden, stand auf und verließ den Park. Der Polizist setzte seine Runde durch den Park fort. Erst dachte ich daran, ebenfalls zu verschwinden, aber dann sagte ich mir: zum Teufel, wenn ich
geschnappt werde, werde ich eben geschnappt. Vielleicht hoffte ich auch halb und halb, daß ich aufgegriffen und zurückgeschickt würde. Selbst konnte ich nicht zurückkehren -nicht, nachdem ich weggelaufen war. Ich konnte unmöglich zugeben, daß ich falsch gehandelt hatte jetzt nicht. Aber wenn ich zurückgeschickt würde...
»Schönen guten Morgen, mein Junge«, sagte der Polizist zu mir.
Ich zündete mir eine Zigarette an. »Guten Morgen«, erwiderte ich und überlegte, ob er wohl das Zittern in meiner Stimme bemerkte.
»Ein prachtvoller Morgen«, sagte er, während er seine Lungen mit Luft füllte und seinen Blick durch den Park wandern ließ. »Reichlich früh auf den Beinen, wie?«
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Sehr warm für Mai«, meinte er lächelnd. Er hatte rötliches Haar und blaue Augen - ein richtiger Ire. »Wohnst du hier in der Gegend?« fragte er.
»Ja«, sagte ich und lächelte ebenfalls. »Ich bin hierhergekommen, um bei meiner Großmutter zu leben. Sie wohnt da in der Straße.« Mit einer vagen Handbewegung deutete ich die ungefähre Richtung des Hauses an. »Ich stamme aus New York.«
»Eine schöne Stadt«, sagte er. »Mein Bruder wohnt dort. Er ist bei der Polizei. Sergeant Flaherty ist sein Name. Kennst du ihn vielleicht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist eine ziemlich große Stadt.«
»Ja«, gab er zu, »das stimmt. Jetzt muß ich aber meine Runde machen.« Er warf noch einen letzten Blick auf mich. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte ich und beobachtete ihn, wie er, seinen Knüppel schwingend, davonschlenderte. Polizisten, dachte ich verächtlich. Ich lehnte meinen Kopf zurück und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Es war ein gutes, sauberes Gefühl. Ich spürte, wie die Strahlen warm in meine Haut drangen. Allmählich döste ich ein.
Plötzlich fuhr ich hoch. Ein Hund, der bellend durch den Park lief, hatte mich aufgeschreckt. Ich sah auf meine Uhr. Es war kurz nach acht. Ich war hungrig. Ich stand auf und verließ den Park durch einen anderen Ausgang. In der Ferne sah ich einige Läden und ging darauf zu.
Ich betrat ein Restaurant, wo ich mir ein Frühstück bestellte. Gegen zehn kehrte ich zum Haus zurück. Mary öffnete mir die Tür.
»Schon auf?« fragte sie.
»Ja.«
»Haben Sie schon gefrühstückt?«
»Ja, in einem Restaurant.« Ich trat ins Zimmer. Sie hatte es anscheinend soeben gesäubert und aufgeräumt. Die Fenster standen offen, und eine angenehme Brise wehte herein. Ich setzte mich auf die Couch und begann die Zeitung zu lesen, die ich unterwegs gekauft hatte. Durch die offene Tür konnte ich jeden sehen, der die Treppe herunterkam. Eine Stunde verging. Ich konnte den Speck riechen, der in der Küche gebraten wurde. Die anderen rochen ihn offenbar auch - denn sie kamen der Reihe nach herunter.
Die dicke Mary war die erste. Sie warf einen Blick ins Zimmer, sah
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