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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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dem Fenster stehen und sah hinein. Ein großer, sonnengebräunter Offizier wies einen Rekruten auf verschiedene Plakate hin. Ich sah mich im Geist an den fernen Plätzen, die auf den Plakaten zu sehen waren. Einen Moment war ich in Versuchung hineinzugehen und mich zu erkundigen, aber dann ging ich langsam weiter.
    Ich legte die Zeitung aus der Hand. Heute hatte ich einen regelrechten Katzenjammer. Mary kam herein, setzte sich an den Flügel und begann zu spielen. Aber das brachte mich auch nicht auf andere Gedanken. Ihr Spiel hatte etwas Melancholisches, was nicht gerade aufmunternd wirkte. Meine Gedanken wanderten zu meiner Familie, und ich fragte mich, was seit meiner Flucht wohl alles geschehen sein mochte.
    Das traurige Klavierspiel ging mir auf die Nerven.
    »Um Himmels willen«, sagte ich, »mach den verdammten Kasten zu!«
    Ohne etwas zu sagen, schloß Mary das Klavier und verließ den Raum.
    »Was ist denn mit dir, Frank?« fragte Jenny, die gerade durch den Flur kam. Sie trug ihre Arbeitstracht: schwarzes Seidenkleid und nichts darunter, dazu das kleine Goldkreuz an ihrem weißen Hals. Es war ein trügerisches Kreuz, das eine Unschuld vortäuschte, die nicht bestand.
    »Nichts«, erwiderte ich schroff.
    Sie kam ins Zimmer und setzte sich auf die Lehne meines Sessels, sie beugte sich über meine Schulter und blickte in die Zeitung, die ich las.
    Ich faltete die Zeitung zusammen und legte sie fort. »Warum gehst du nicht weg von hier?« fragte ich.
    Sie sah mich einen Augenblick lang ruhig an. Ich hatte ein komisches Gefühl - eine Übelkeit, als müßte ich mich übergeben. Es war eine ekelhafte, kalte Leere in der Magengrube, so, als steckten zwei Personen in mir: eine oberhalb des Magens und eine unterhalb des Magens. Und der einen wurde übel von dem heißen Begehren der anderen.
    »Warum bleibst du hier?« fragte sie.
    Ich schwieg, denn es gab keine Antwort darauf. Sie nahm meine Hand und rieb damit über ihren Leib ganz tief. Ich fühlte ihren Körper unter dem dünnen Kleid - ihre Wärme. »Warum gehst du nicht fort?« wiederholte sie. »Du bist ein guter Junge. Willst du so tief sinken wie wir? Willst du auch auf ewig verdammt sein?« Und während der ganzen Zeit führte sie meine Hand über ihren Körper.
    Ich zog meine Hand zurück und schlug sie ins Gesicht. Sie taumelte von der Sessellehne und fiel zu Boden. Sie sah mit einer Art von Triumph zu mir auf, als hätte ich ihr einen Wunsch erfüllt. Ich machte keine Anstalten, mich aus dem Sessel zu erheben.
    »Du bist stark«, flüsterte sie.
    Ich antwortete nicht. Ich stand auf und schritt über sie hinweg. Sie richtete sich halb auf, griff nach meinem Bein und hinderte mich, weiterzugehen. Ich schüttelte sie ab. Sie versuchte, nach meiner Hand zu greifen, aber ich versetzte ihr einen Schlag ins Gesicht. Ich stand da und blickte auf sie herunter. Ihre Augen waren halb geschlossen. Sie bewegte sich leicht hin und her. Ich wollte weitergehen, aber sie packte mein Bein mit einer Hand. Mit der anderen hob sie ihren Rock.
    Sie stöhnte und wand sich in den Hüften.
    »Jetzt«, ächzte sie, »jetzt, Frank, jetzt!«
    Ich stieß mit dem Fuß gegen ihre Hüfte. Da ließ sie mein Bein los. Ich verließ das Zimmer und trat aus der Haustür. Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und blickte in den Regen. Dann zündete ich mir eine Zigarette an. Einen Augenblick später stand sie neben mir im Türrahmen.
    »Du kannst gar nicht fortgehen«, stieß sie wütend hervor. »Du hast Angst!«
    Plötzlich war mir wohler. Jetzt war es herausgekommen, dieses unbestimmte Etwas in meinem Unterbewußtsein. Ich lächelte.
    Ihre Augen weiteten sich. Sie hob die Hände, als wenn sie sich gegen einen Schlag schützen wollte. Eine Sekunde blickte sie mich stumm an. »Du bist verrückt«, flüsterte sie dann, »total verrückt!«
    Sie machte kehrt und flüchtete ins Haus.
    Ich lachte laut in den Regen hinein. Ich zog noch einmal an der Zigarette und warf sie in weitem Bogen in die Gosse.
    Der Rest des Tages verging wie im Fluge. Ich sagte mir immer wieder: »Ich hatte Angst.« Das war es und nichts anderes. Ich begann zu begreifen, warum ich diese Arbeit angenommen hatte. Ich war nicht so schlau, wie ich mir eingebildet hatte; die Alte hatte mich hereingelegt. Erst hatte sie mir Angst gemacht mit ihrem Gerede von der Polizei. Dann bot sie mir diese Tätigkeit an; dabei wußte sie genau, daß sie mich, wenn ich anbiß, beim Wickel hatte. Und ich biß an. Ich mußte lachen. Nun, von

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