Die Moralisten
Quatsch, den sie da verzapfte, doch wohl selbst nicht. Aber ihr Gesicht war ernst; sie meinte tatsächlich jedes Wort so, wie sie es gesagt hatte.
Ich unterdrückte einen Lachreiz.
»Wenn du es nicht anders willst, Terry«, sagte ich. Meine Stimme klang erstickt, weil ich krampfhaft bemüht war, mich zu beherrschen.
Sie glaubte, ich wäre tief traurig. »Dies ist unser Abschied, Frank«, flüsterte sie.
Ich ging darauf ein. »Nein«, sagte ich, »das kann doch nicht dein Ernst sein?«
»Ja«, sagte sie, »es ist mein Ernst. Dies ist das Ende.« Sie war so gerührt von ihren eigenen Worten, daß ihr tatsächlich die Tränen in den Augen standen.
Ich beugte mich zu ihr herab und küßte sie auf die Wange. »Ich glaube, du hast recht, Baby«, sagte ich. »Ich bin nicht gut genug für dich. Ich hoffe, daß du sehr glücklich wirst. Alles Gute.«
Sie begann zu schluchzen und lief weinend nach oben. Ich blickte ihr eine Weile nach und trat dann grinsend auf die
Straße.
Als ich einen Monat später das Restaurant betrat, in dem ich mit Gerro verabredet war, sah ich Marianne an seinem Tisch sitzen.
»Marianne wollte mit uns zu Abend essen«, sagte Gerro lächelnd.
»Wie geht's Ihnen, Marianne?«
»Danke, gut«, sagte sie und lächelte mich dabei an, daß mir die Pulse hämmerten. »Und wie geht es Ihnen?«
»Ganz gut.« Ich vertiefte mich in die Speisekarte, damit sie nicht merken sollte, wie es um mich stand.
»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Gerro und stand auf. »Ich bin gleich wieder da. Marianne, bestelle bitte einen Tomatensaft für mich.« Er ging auf die Herrentoilette zu.
Ich blickte verlegen auf die Speisekarte.
»Was ist mit Ihnen, Frank?« fragte Marianne lächelnd. »Wundern Sie sich, daß ich mitgekommen bin?«
Ich nickte. »Ein wenig.«
»Nun ja«, sagte sie. »Ich war neugierig und wollte sehr gern wissen, wie Sie bei Tag aussehen.«
Ich schaute aus dem Fenster. Es war dunkel draußen. Schon seit einer Stunde.
Sie lachte. »Sie glauben mir wohl nicht, wie?«
»Nein«, sagte ich.
Sie lachte wieder. »Frank, ich glaube, Sie fürchten sich vor mir. Sie halten mich für eine böse Frau.«
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, wer Sie sind, und was Sie sind, interessiert mich nicht. Ich bin Gerros Freund.«
»Touché!« sagte sie. Dann beugte sie sich mit ernster Miene vor. »Frank, es ist durchaus möglich, daß eine Frau zwei Männer gleichzeitig lieben kann. Gerro ist wundervoll - reizend,
gütig, alles, was eine Frau sich von einem Manne nur wünschen kann. Ich wollte, wir wären verheiratet, und das ist mein voller Ernst. Aber Sie sind anders. Sie sind böse, selbstsüchtig, unehrlich. Das sehe ich Ihrem Gesicht an. Sie scheinen alles zu begehren, was ein anderer besitzt. Aber Sie faszinieren mich. Ich möchte Ihren Charakter ergründen. Aber Sie sind undefinierbar. Ich wußte, daß Sie mich nicht besuchen würden. Deshalb habe ich Gerro überredet, mich mitzunehmen. Ich mußte Sie wiedersehen, ich mußte wissen, wie Sie über mich denken. Jetzt weiß ich es. Auch das kann ich aus Ihrem Gesicht lesen, trotz der Maske, die Sie aufgesetzt haben.«
»Na, gut«, sagte ich, »dann können Sie vielleicht auch sehen, daß Sie Gerro gehören. Seine Lebensaufgabe ist schon schwer genug. Ich brauche ihm nicht auch noch in sein Privatleben zu pfuschen. Seit Jahren haben Sie ihm alles bedeutet, und ich will ihm das nicht wegnehmen.«
Sie senkte den Kopf und biß sich auf die Lippen. Ich konnte sehen, wie ihr die Röte ins Gesicht schoß. Sie errötete sehr leicht. Gerade wollte sie mir antworten, aber da kam Gerro an unseren Tisch zurück, und wir ließen das Thema fallen.
Als ich nach dem Abendessen den Heimweg antrat, dachte ich: »Wenn Gerro nicht wäre, dann würde ich...« Ich wüßte sehr genau, was ich dann täte.
Der April kam und mit ihm der erste Hauch von Frühling. Frühling in New York. Ich lebte mechanisch von einem Tag zum anderen, und jeder Tag brachte dasselbe. Ich wußte nicht, ob ich glücklich war, aber ich wußte, daß ich auf eine merkwürdige, im Grund ungenügende Art zufrieden war. Ich sehnte mich nach anderen Dingen, aber ich hätte nicht sagen können, wonach.
Eines Abends fragte mich Gerro, ob ich am 1. Mai zum Union Square kommen könne. Er hatte sich verpflichtet, dort eine Rede zu halten, und wollte gern, daß ich sie hörte. Ich hatte den vagen Gedanken, daß Marianne vielleicht auch dort wäre. Wahrscheinlich war das der entscheidende Grund, daß ich
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