Die Moralisten
soeben eintrat.
In diesem Gebäude, einem der ganz neuen auf der Park Avenue, war alles automatisch. Es wurde sogar Musik in die Fahrstühle gefiltert. Cardinalis Firma war also keine leere Fassade, sein Geschäft erstklassig aufgezogen. Der Mann verstand es, sich in Szene zu setzen. Was aber mochte einen Menschen wie ihn an die Mafia binden?
Baker sah noch Strangs ungläubige Miene vor sich, als sie gemeinsam die Geheimakten gelesen hatten. »Mir unverständlich«, hatte der Captain gesagt. »Dieser Mensch besitzt doch alles: Titel, Geld, Kriegsruhm und Sportlorbeeren. Was will der in diesem Verbrecherverein?«
Das war die Frage, die ihnen allen Kopfzerbrechen machte. Und Baker beschäftigten besonders gewisse, vorwiegend auf Gerüchten beruhende, nie einwandfrei bestätigte Episoden aus dem Leben dieses undurchsichtigen Mannes. Zum Beispiel Cardinalis militärische Laufbahn. Vor der Invasion Siziliens hatte er sich in geheimer Mission für die Alliierten betätigt und bekam dafür einen Orden. Doch er hatte bei dieser Aufgabe von den Leuten, mit denen er Kontakt herstellen sollte, nicht weniger als fünf getötet, während die übrigen mit derselben Mission betrauten Agenten - über zwanzig waren das gewesen -insgesamt nur vier Personen zu liquidieren für notwendig hielten. Ferner war da die Geschichte mit Cardinalis Onkel, der ermordet wurde. Gewiß, Cardinali hatte ein einwandfreies Alibi, doch bald warf er, obwohl er nach dem Kriege mittellos gewesen war, mit Geld nur so um sich. Kaufte sich schnelle Wagen, fuhr Rennen und war fast über Nacht zu einer bekannten Persönlichkeit geworden. Natürlich gab es noch mehr von seiner Sorte. De Portago war kürzlich beim Autorennen tödlich verunglückt, und zwar bei einem, an dem auch Cesare teilgenommen hatte. Man hatte ihm wegen rücksichtslosen
Fahrens einen Verweis erteilt, und das war nicht sein erster gewesen. Nach zwei früheren Rennen hieß es sogar, er habe den Tod anderer Teilnehmer verschuldet. Nirgends aber ließ etwas eine Verbindung mit der Unterwelt vermuten.
Die Fahrstuhltüren glitten auseinander, und Baker kam in einen dezent und behaglich erleuchteten Raum, an dessen Wänden Farbdrucke von berühmten Automobilen hingen. Die Empfangsdame, die in der hinteren Ecke an einem kleinen Schreibtisch saß, fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«
Baker nickte. »Ich hätte gern Mister Cardinali gesprochen.«
»Sind Sie mit ihm verabredet?«
»Nein, das nicht.«
»Darf ich erfahren, um was es sich handelt?«
»Um eine persönliche Angelegenheit«, erklärte Baker.
»Ich will mal sehen, ob Graf Cardinali im Hause ist«, sagte die Dame und griff zum Telefon. »Ihr Name, bitte?«
»George Baker.«
Er wartete, während sie leise ins Telefon sprach. Nach einer Weile sah sie Baker an und sagte: »Würden Sie bitte Platz nehmen? Graf Cardinalis Sekretärin wird gleich kommen und mit Ihnen sprechen.«
Baker setzte sich in ein bequemes Sofa. Der Tisch davor war mit Autosportzeitschriften in verschiedenen Sprachen bedeckt. Müßig begann er in einem der Hefte zu blättern. Er blickte hoch, als er aus einer Tür ein junges Mädchen auf sich zukommen sah.
»Ich bin Miss Martin, Graf Cardinalis Sekretärin. Er ist, wenn keine Verabredung getroffen ist, für niemanden zu sprechen. Kann ich vielleicht etwas für Sie tun?« sagte sie höflich.
Langsam erhob sich Baker. Er merkte, daß die Empfangsdame neugierig herüberblickte. Schweigend griff er in die Tasche, zog seinen Ausweis hervor und reichte ihn Miss Martin.
Sie betrachtete das Kärtchen im aufgeklappten Etui und sah ihn dann etwas erstaunt an.
»Ich behellige den Grafen nur ungern«, sagte er beruhigend, »aber möglicherweise kann er uns in gewissen Sachen durch einige Auskünfte helfen.«
Miss Martin gab ihm das kleine Etui zurück. »Wenn Sie so nett sein wollen, noch einen Moment zu warten, will ich versuchen, ob ich einen Termin für Sie vereinbaren kann.«
Sie verschwand durch dieselbe Tür, Baker setzte sich wieder. Nach einer Weile kam sie zurück und forderte ihn freundlich auf, ihr zu folgen.
Wenige Minuten später betrat Baker Cardinalis Empfangszimmer.
Beim Anblick der Einrichtung machte der Sonderbeauftragte des FBI George Baker unwillkürlich große Augen. Die antiken Möbel waren zweifellos echt. Sogar der elektrisch beheizte Kamin war aus carrarischem Marmor. Auf dem Sims standen Ehrenpreise und goldene Pokale. Graf Cardinali saß nicht an einem Schreibtisch, denn hier
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