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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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fest umklammerte, als habe er Angst zu fallen.
    Eine Tür ging auf, und ein Mann spähte heraus. »Hier ist ein Unfall passiert«, sagte Mike schnell. »Haben Sie vielleicht ein Telefon, das ich benutzen kann?«
    Der Mann nickte und trat auf den Gang hinaus. Hinter ihm sah Mike eine Frau, die sich einen Morgenmantel zuhielt. Mike betrat die Wohnung. Die Frau deutete schweigend auf das Telefon. Er nahm den Hörer ab und wollte schon sprechen, als ein leise wimmernder Ton sein Ohr traf.
    Es war das einzige Mal in seinem Leben, daß er Marja weinen hörte.
    16
    Erst eine Woche später kehrte Marja zu ihrer Arbeit im Golden Glow zurück. Ihr Gesicht war abgemagert, und ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Zuerst war Kattis Beerdigung gekommen.
    Die Messe in St. Augustin war einfach gewesen. Pater Janowicz war ein gütiger und verständnisvoller Mann. Er sprach mit tiefer Inbrunst von der großen Tapferkeit ihrer Mutter und deren Ergebenheit gegenüber den Geboten der katholischen Kirche.
    Schweigend saß Marja neben Peter, als sie im einzigen Wagen dem Sarg zum Friedhof folgten. Die Beerdigung war billig und schnell vorbei. Dann kehrten sie nach Hause zurück.
    Dort erwarteten sie die Leute von der Wohlfahrt. Francies Mutter, die inzwischen auf das Kind aufgepaßt hatte, ging wieder nach oben und ließ sie allein. Der junge Mann und die ältere Frau, die vom Wohlfahrtsamt kamen, wollten wissen, ob sie sich auch richtig um das Kind kümmern könnten.
    Marja überzeugte sie davon, daß alles in Ordnung war. Sie sei den Tag über zu Hause, und ihr Stiefvater wäre am Abend da, während sie arbeitete. Sie waren damit einverstanden, alles unverändert zu belassen, bis Marja im Herbst in die Schule zurückkehren mußte.
    Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie das Tanzlokal betrat. Es schien ihr seltsam, daß hier noch alles beim alten war, während sich anderswo so viel verändert hatte. Die billigen, geschmacklosen Dekorationen, das trübe, bläuliche Licht und die falschen Töne der übermüdeten Kapelle - alles war unverändert. Der Rausschmeißer kam auf sie zu. Sein gorillaähnliches, stumpfes Gesicht war ohne jeden Ausdruck. »Mr. Martin will dich sprechen«, sagte er und deutete mit dem Daumen zum Büro hinüber.
    Ohne ihm zu antworten, überquerte sie die Tanzfläche und klopfte an die Tür.
    Martins Stimme antwortete ihr. »Herein.«
    Sie öffnete die Tür. Er saß an seinem Schreibtisch und hatte einige Papiere vor sich ausgebreitet. Sie blieb unschlüssig stehen, bis er aufblickte. Dann trat sie ein, schloß die Tür hinter sich und ging zu ihm.
    »Sie wollten mich sprechen?« fragte sie mit leiser Stimme.
    Er nickte. »Setz dich. Ich will nur das hier schnell fertig machen.« Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch und beobachtete ihn. Sein Gesicht war grob und tief gefurcht, und sein grauschwarzes Haar ließ seine Augen nur noch kälter wirken. Sein Kinn war fest und kantig, aber sein Mund wirkte, obwohl er schmal war, seltsam freundlich. Schließlich blickte er auf. »Das mit deiner Mutter tut mir sehr leid, Marja«, sagte er sanft.
    Sie sah auf ihre Hände herab. »Danke«, antwortete sie, und es schnürte ihr die Kehle zu. Es fiel ihr noch immer schwer, darüber zu sprechen.
    Er schwieg einen Augenblick. »Es war jemand vom Wohlfahrtsamt hier und hat sich nach deiner Arbeit erkundigt.«
    Ihr Gesicht verriet jähe Furcht. Sie sah ihn fragend an.
    Er lächelte beruhigend. »Keine Angst. Ich habe dem Mann gesagt, du bist Kassiererin.«
    Wieder blickte sie auf ihre Hände. Ihre Stimme zitterte. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Mr. Martin.«
    Er warf einen Blick auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. »Warum hast du mir nicht gesagt, wie alt du bist, Marja?« fragte er plötzlich.
    »Hätten Sie mir dann die Stelle gegeben?«
    Er zögerte. »Wahrscheinlich nicht.«
    »Das war der Grund«, antwortete sie. »Außerdem haben Sie mich niemals gefragt.«
    Seine Augen blickten forschend in ihr Gesicht. »Ich habe nie daran gedacht. Du siehst schon so erwachsen aus.«
    Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ich bin auch erwachsen genug.«
    Er erhob sich und kam um den Schreibtisch herum auf sie zu. Mit ausgestreckter Hand berührte er ihre Schulter und nickte nachdenklich. »Das glaube ich auch«, sagte er.
    Fragend sah sie ihn an. »Darf ich dann wieder an meine Arbeit zurückgehen, Mr. Martin?«
    »Ja«, antwortete er. »Aber halt die Augen offen. Wenn es irgendwie gefährlich

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